Die Bio-Bäckerei Neuhof gibt das Bäckerhandwerk an zukünftige Generationen weiter. Der Ausbildungsbetrieb ermöglicht Jugendlichen eine individuell begleitete Berufsbildung, damit sie für sich selbst sorgen können. Auch dann, wenn die Herausforderungen gross sind.
Ein ruhiger und verhangener Dienstagmorgen im Zentrum von Schlieren ZH. Bereits vor der Ladentür hüllt mich der herrliche Duft nach frischem Brot ein. Während ich auf Geschäftsführerin Priska Furrer warte, schaue ich mich im Laden um. Die antiquarischen Wände und Regale aus dunklem Holz und die weisse Decke sorgen für eine heimelige Atmosphäre und setzen die hausgemachten Produkte perfekt in Szene.
Von Hand und mit viel Passion
Priska begrüsst mich herzlich und gemeinsam machen wir uns auf zu einem Rundgang durch die Produktion. Diese beginnt gleich hinter der Schiebetür zum Laden. Wir steigen rechts ein paar Stufen hoch und treten in die Backstube.
Ziel: Bäcker werden
Priska erklärt: «Wir bieten bis zu sieben Ausbildungsplätze für Jugendliche mit individuellem Förderbedarf (IF) und sozialpädagogischer Betreuung an. Momentan sind fünf Lernende bei uns in der Ausbildung. Eine davon ist Sarah: Sie macht eine Praktische Ausbildung (PrA). PrA ergänzt das Angebot der beruflichen Grundbildung (EBA, EFZ) und fördert die berufliche Integration für junge Menschen mit Lernschwierigkeiten. Falls möglich, streben wir die anschliessende EBA-Ausbildung an.»
Berufseinstieg geschafft!
Zurück in die Backstube. «Ich finde es spannend, die Entwicklung unserer Lernenden mitzuverfolgen. Indem ich sie begleite, kann ich ihnen meine persönlichen Werte vorleben und mein Fachwissen sowie meine Erfahrungen weitergeben; das erfüllt mich», ergänzt Armin. «Cyrill ist seit Januar 2021 bei uns. Er hat die EFZ-Lehre als Bäcker-Konditor-Confiseur erfolgreich abgeschlossen. Sein Beispiel zeigt, dass man auch einen Berufsabschluss schafft, wenn man über den zweiten Arbeitsmarkt ins Berufsleben einsteigt », freut sich Priska. Weiter geht's in die Konditorei.
Schrittweise Vorbereitung auf den Beruf
Dort treffen wir auf die Berufsbildnerin Damaris und die Lernende Alexandra. Die beiden sind beim «Guetzlen». Priska erklärt: «Alexandra macht bei uns eine Berufsvorbereitung im geschützten Rahmen. Seit Sommer 2021 erarbeiten wir gemeinsam den schrittweisen Übertritt in die Berufsbildung und in die reguläre Arbeitswelt. Sie arbeitet an vier Tagen bei uns in der Produktion und geht einen Tag pro Woche zur Schule. Vorteil der Berufsvorbereitung ist, dass der Eintritt jederzeit – auch während des Jahres – möglich ist.»
Grenzen ausloten
Was ist anders in der Zusammenarbeit mit diesen Lernenden? Ich frage Damaris, die Produktionsleiterin der Konditorei: «Auch wenn die Lernenden entsprechende Tätigkeiten bereits mehrmals ausgeführt haben, ist es wichtig, dass wir sie weiter begleiten. Oft können sich Menschen mit einer Lernschwäche schlecht konzentrieren. Sie vergessen, was sie zu tun haben. Und sie sind langsamer beim Ausführen der Arbeiten. Dies braucht etwas mehr Geduld. Ansonsten ist es im ‹Neuhof› ähnlich wie andernorts – auch bei uns loten die Lernenden mal die Grenzen aus», erzählt sie augenzwinkernd.
Individuelle Wege zum Erfolg
«Wir suchen für jedes Handicap individuelle Wege», erklärt Priska: «Zum einen unterstützen Notizzettel als Denkhilfe, zum anderen haben alle ihr eigenes ‹Arbeitsbüechli›, um Rezepte und Arbeitsprozesse festzuhalten. Bei Lese- und Schreibschwächen hingegen arbeiten wir oft mit Fotos oder zeichnen beispielsweise Arbeitsabläufe auf.» Damaris schätzt Priskas sozialpädagogische Unterstützung: «An einem ‹schlechten› Tag dürfen wir die Lernenden zu Priska schicken und sie kümmert sich um sie. Das entlastet uns in der Produktion. Denn schliesslich wollen wir trotzdem Produkte im Laden haben und pünktlich liefern.»
Praktika als Sprungbrett
Die Schützlinge werden von Priska nicht nur sozialpädagogisch betreut, sie vermittelt auch innerhalb ihres gesamten Bezugssystems; mit Eltern, Fachstellen, Vormundschaftsbehörden, IV- und Sozialversicherungen, Ärztinnen und Ärzten etc. «Wir bieten den Jugendlichen eine Arbeitsumgebung und ein soziales Umfeld, das sich bestmöglich an der ‹Normalität› orientiert», zeigt Priska auf. «Dazu gehören auch externe Praktika in Betrieben der ersten Arbeitswelt. Deren Einschätzung dient später oft als Sprungbrett. Leider sind Praktika aufgrund von Corona momentan nur schwer möglich», bedauert sie. «Unser primäres Ziel ist es, den Jugendlichen einen Berufsabschluss (EBA/EFZ) zu ermöglichen, um ihre Chancen, eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden, zu erhöhen», fasst sie zusammen.
Das Fazit liefert die Bäckerin-Konditorin Irina unter der Tür stehend: «Es macht unheimlich Freude, wenn wir sagen können ‹Wir haben es geschafft!›, wenn die Lernenden ihren Berufsabschluss in der Tasche haben.» Und Priska ergänzt: «Unsere Lernenden brauchen zwar etwas mehr Zeit. Aber bis jetzt haben wir für alle Anschlusslösungen gefunden.»
Fotos: Jonas Weibel
Priska Furrer
Priska Furrer ist die Geschäftsführerin der Bio-Bäckerei Neuhof. Sie startete mit dem Projekt «Intramezzo» bei axisBildung, indem sie perspektivenlosen Jugendlichen eine Tagesstruktur und Anschlusslösungen bot. Während ihres Studiums in Sozialpädagogik arbeitete sie im Restaurant auf dem Bauernhof «Neuhof» in Bachs. Ihre Aufgabe war es, Lernende mit individuellem Förder-bedarf sozialpädagogisch zu betreuen. Aus der Idee «Wir backen eigenes Brot» entwickelte sich die Bio-Bäckerei Neuhofvorerst als Lieferbetrieb für den bekannten Bachsermärt sowie für Unverpackt-Läden. Mit dem Umzug in die Stadt (nach Schlieren) kam ein Verkaufsladen dazu.
Zusammenarbeit mit axisBildung
Die Bio-Bäckerei Neuhofarbeitet eng mit dem Lehrbetriebsverbund axisBildung zusammen. Gemeinsam bilden sie junge Erwachsene aus, für die es aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen schwierig ist, einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden. Die Zuweisungen erfolgen über Jugendanwaltschaften, Vormundschaftsbehörden, Sozialhilfe-Fachstellen oder über Zweigstellen der Invalidenversicherung. Eine sozialpädagogische Betreuung unterstützt den Umgang mit den verschiedenen Krankheitsbildern der Auszubildenden. Sie reichen von Autismus-Spektrum-Störungen und Konzentrationsschwäche (ADHS) über Geburtsgebrechen bis hin zur Depression und Psychosen.