Nicht direkt am Bodensee, aber in dessen Sichtweite steht das Gasthaus zur Fernsicht. Seit sieben Jahren führt Tobias Funke den Betrieb im 4000-Seelen-Dorf Heiden mit einer klaren Vision: Seine Qualitätsansprüche nehmen Rücksicht auf das lange Gedeihen der Lebensmittel.

In der Küche des Gasthauses zur Fernsicht sind morgens der Rezepttüftler Patrik Fischer und Tobias Funke unter sich. Für das ganze Küchenteam, ein Küchenchef, drei Postenchefs, zwei Patissiers und ein Praktikant, beginnt der Arbeitstag erst gegen Mittag. «Das Gourmet-Restaurant ‹Incantare› öffnet erst am Abend. Es bietet je nach Tischanzahl und Reservation rund 30 Sitzplätze», hält Tobias Funke fest und bietet dem Fotografen und mir das Du an. Mit den blauen Augen, dem gepflegten Drei-Tage-Bart, den grauen Jeans und der schwarzen Koch­jacke wirkt Tobias Funke nicht wie ein Zwei-Sterne-Guide-Michelin-Koch, sondern eher wie ein normaler Koch oder Freund.

Frischfisch vom Lago Maggiore

Jetzt öffnet sich die Küchentür und eine Styroporschachtel mit der Aufschrift «Dubno» schiebt sich hindurch. Träger ist Frank Bössneck, der Gourmet-Scout. «Guten Morgen, der Zander von Giovanni Palmieri ist da. Der Zander wiegt unausgenommen fast acht Kilogramm. Giovanni Palmieri höchstpersönlich hat gestern den Prachtsfisch mit dem Netz im Lago Maggiore gefangen», kommentiert Bössneck seine Lieferung. Tobias legt das Messer beiseite und begrüsst ihn wie einen alten Kumpel.

Nur Einsatz von Fischen, die schon einmal gelaicht haben.

Tobias Funke

Geschäftsleiter, Küchenchef

Fachsimpeln unter Profis

Der Zander ist grosszügig mit Eis bedeckt. Tobias drückt mit dem Zeigfinger darauf. «Das Wichtigste bei der Fischqualität ist der flächendeckende Schleim und der Geruch», erklärt er. Frank ergänzt: «Bei vielen Fischen sind klare Augen ein Frischemerkmal. Weil der Zander aber im trüben Wasser lebt, sind trübe Augen typisch, aber auch straffe Pupillen.» Mit etwas Mühe öffnet er das grosse Maul des achtjährigen Zanders, auch «Hundegebiss» genannt, und weist auf die schöne Zahnreihe hin. «Der Zander ist ein guter Jäger und findet seine Beute in der Nacht», fügt Frank an. Abschliessend hält Tobias fest: «Aus Respekt vor der Natur verwenden wir nur Fische, die schon einmal gelaicht haben. Daher ist jeder Zander bei uns mindestens zwei Kilogramm schwer.» Mit gezielten Schnitten zerlegt Tobias den Fisch in drei Teile: die Gräten mit Kopf und zwei Filets.

Von Kopf bis Schwanz

Gewöhnlich stellt ein Koch aus den Fischresten einen Fischfond her. Eine andere Möglichkeit ist Fischgarum. Patrik Fischer ist Spezialist für die Herstellung dieser aufwendigen Würzsauce. Dafür vermischt er die parierten Fischgräten mit Salz und Wasser. In einem Weckglas wird das Gemisch während einigen Wochen auf 60 Grad erwärmt und dann wieder abgekühlt. Durch die Fermentation entsteht eine Würzsauce, die vielfältige Verwendung findet.

Fischgarum, die andere Würzsauce.

Patrik Fischer

Der Rezepttüftler

Fischhautpulver oder knusprige Garnitur

Nun trennt Tobias mit einem scharfen Filetiermesser die Haut vom Filet, schneidet sie in Stücke und erklärt: «Wir trocknen die Haut in unseren Dörrgeräten, servieren sie als knusprige Garnitur oder verarbeiten sie im Thermomix zu Pulver.» Achtsam schneidet er gleichmässige Stücke aus dem Zanderfilet und legt sie für einige Minuten in eine Salzlake. Sachte wendet er die Filets und erklärt: «Mit dem Salz findet der erste Garprozess statt. Das Eiweiss verfestigt sich und der Fisch bleibt in Form.» Nun legt Tobias den Zander auf ein Blech, deckt ihn zu und gart ihn im Dampf des Kombisteamers. Anschliessend bestäubt Tobias das Filet mit violettem Currypulver, dekoriert es mit dehydrierten Gemüsen und Früchten und legt seine Kreation auf einen grillierten Selleriering mit Zandertatar.

Mit gutem Mass gegen Food Waste

Im Gourmet-Restaurant «Incantare» bietet Tobias ein Achtgangmenü mit optionaler Weinbegleitung an. Änderungen des Menüs sind nicht vorgesehen, mit Ausnahme von Alternativen bei Unverträglichkeiten oder Allergien. «Wir bereiten genauso viele Menüs zu, wie sich Gäste angemeldet haben, und kein einziges mehr. Mit dieser Massnahme vermeiden wir Essensabfälle», erklärt Tobias. Einzelne Menügänge wechselt die Crew im Zweiwochenrhythmus nach folgenden Prioritäten: das Gericht, das am längsten auf der Karte ist, Mangel an Verfügbarkeit oder nachlassende Qualität der Lebensmittel.

Funke fischt fair

Ganzheitliches Produktdenken und das Tierwohl prägen die Laufbahn von Tobias Funke. Der Wert der Lebensmittel stellt er in den Mittelpunkt seines Schaffens. Früher arbeitete er mit verschiedenen Labels. Mittlerweile überzeugt sich Funke gerne persönlich vor Ort – auch im Ausland – bei Bauern und Fischern über die Haltung, Zucht und Schlachtung der Tiere. «Edelfische und Krustentiere verarbeiten wir gerne – immer mit dem Vorzug von Leinenfang oder Tauchgängen, die keinen Beifang generieren. Weniger ist mehr. Gerne informiere ich meine Gäste über meine Erfahrung mit den Lebensmittelproduzenten. Das überrascht sie oft und kommt gut an. Dieses Wissen verwenden auch meine Köche für die Herstellung der Gerichte, denn nur mit einem klar definierten Qualitätsanspruch an die Lebensmittel können wir hochwertige Speisen herstellen. Der Name ‹Incantare› verpflichtet: Wir verzaubern und begeistern unsere Gäste. Bei Qualitätskompromissen müsste ich mein Restaurant Evocare (zaubern) nennen. Und zaubern können wir wirklich nicht. Das wäre mein Ende als Koch», hält Tobias mit einem Lächeln fest.

Die Lebensmittel stehen im Mittelpunkt meines Schaffens.

Tobias Funke

Geschäftsleiter, Küchenchef

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In der Fernsicht ist immer etwas los

Tobias Funke ist ein Perfektionist. Als Geschäftsführer des Gasthaus zur Fernsicht kontrolliert er jedes Detail. Als Publikumsmagnete funktionieren nebst dem gutbürgerlichen Restaurant das Eisfeld oder Events im vermutlich besten Fondue-Chalet der Schweiz. Kulinarisch auf die Spitze treibt es Tobias Funke im Gourmetrestaurant «Incantare». Jedes Produkt wird mit grösster Sorgfalt ausgewählt, zubereitet und mutig kombiniert. So wird ein Abend im «Incantare» zu einer geschmacklichen und kulinarischen Horizonterweiterung. Dabei wird der Gast immer ernst genommen, jedoch nie überfordert oder gelangweilt. Dafür sorgt auch der herzliche Service. Und der Weinkeller mit 1000 Positionen – auch von besten Schweizer Winzern – ist einfach traumhaft.

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Bilder: Jürg Waldmeier

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Erich Büchler

Erich Büchler

Autor

Früher kreierte ich als Koch aussergewöhnliche Gerichte aus Schlüsselblumen und Brennnesseln.

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