Sie hat Kaiser empfangen, Königreiche entstehen sehen und ist auf der Karte fast unsichtbar: Turin. Doch die grünste Stadt Italiens besteht aus weit mehr als einem grossen Autobauer, einem traditionsreichen Fussballclub und einem Grabtuch. Sie begeistert an jeder Ecke.
Ohne grosse Erwartungen, aber mit grosser Lust auf Sonne und Dolcefarniente machte ich mich in ein langes Osterwochenende in Richtung Süden auf. Die Wahl fiel spontan auf Turin. Vermutlich der beste zufällige Entscheid, den ich in den letzten Jahren getroffen habe. Hübsch eingebettet ins Piemont, am Fusse von Bergen, zwischen den Alpen und der Po-Ebene, liegt dort im Dornröschenschlaf eine wunderschöne Stadt: Turin. Sie war die Hauptstadt Italiens, die Heimat der Könige und die Wiege des Kinos und des Automobils. Geblieben ist lediglich «La Fiat». Die Gründerfamilie Agnelli baute eine gewaltige Autofabrik und machte Turin als neue «Königsfamilie» wieder zu einer Metropole. Doch mit
dem Abbau der Automobilindustrie blieb vom neuen Ruhm wenig ausser dem Image. Und so verwundert es wenig, dass Turin bei Italienreisen ausgelassen wird. Es ist für viele nur Fiat und industrielle Ödnis.
Unaufgeregt schön
Der Einfluss Frankreichs ist an vielen Ecken zu entdecken, vor allem die symmetrischen Plätze erinnern an Pariser Boulevards. Dies ist vor allem den Savoyern, die bis Ende des 19. Jahrhunderts von ihren Turiner Residenzen aus einen Teil Europas regierten, zu verdanken. Dennoch gibt sich die Stadt alles andere als protzig, ja geradezu unaufgeregt. Und vermutlich genau deswegen habe ich mich heimlich in sie verliebt. Den Blick stets nach oben gerichtet, eröffnen sich einem die Schätze dieser Stadt am besten auf einem Spaziergang. Die Häuserzeilen sind imposant, Palazzi säumen die Strassen, der Reichtum vergangener Zeit ist spürbar.
Die Turiner haben's erfunden
Reisen nach Italien, das heisst für mich auch immer dem Leib Gutes tun. Grissini, Martini, Barolo, Barbaresco, Asti spumante, Bicerin, Vitello tonnato, Gianduiotti oder Zabaione haben ihre Reise in die Welt hinaus in Turin und seiner Umgebung angetreten. Fast könnte man meinen, die halbe italienische Küche käme aus dem Piemont. Auch dies gilt es vor allem den Herzogen und Königen Savoyens zu verdanken. Sie haben die hohe Esskultur gefordert und gefördert. So brachte zum Beispiel Herzog Emanuele Filiberto von Savoyen im Jahr 1560 die Schokolade nach Turin und legte damit den Grundstein für eine Passion zur Schokoladenherstellung. Oder die dünnen, mürben Brotstangen, Grissini, kreierte ein Bäcker für den an Verdauungsproblemen leidenden Vittorio Amedeo von Savoyen. Was übrigens fürs Essen gilt, gilt nicht minder fürs Trinken. Das Piemont zählt zu den besten Weinbaugebieten der Welt. Hier werden Qualitätsweine gekeltert. Vielleicht prägen die Geister vergangener Zeiten den Spirit für viele Innovationen mit.
Reisen nach Italien, das heisst für mich auch immer, dem Leib Gutes tun.
Nina Vagli
Autorin
Eataly – Slow Food Megastore
Auf den ersten Besuch eines Eataly sollte man sich gedanklich vorbereiten und dafür, noch besser, ein Ziel setzen. Es könnte durchaus passieren, dass die Sinne überfordert sind und man vergisst, mit welchen Absichten man das Slow-Food-Paradies besucht. Einkaufen? Essen? Degustieren? Flanieren? Oft will man nur eine halbe Stunde bleiben und verbringt am Ende den halben Tag dort. Was von aussen wie ein gewöhnlicher Detailhändler in einem historischen Gebäude anmutet, zeigt seine wahre Vielfalt beim Eintritt. Angesiedelt am Rande von Turin, in direkter Nachbarschaft zur früheren Fiat-Zentrale, in einer ehemaligen Wermut-Fabrik, erwarten den Besucher 3000 m2 Verkaufsfläche – voll mit italienischen Lebensmitteln. Wie der Name Eataly vermuten lässt, isst man im Geniesser-Supermarkt ein Stück Italiens. Der Schwerpunkt liegt auf regionalen Produkten aus handwerklicher Herstellung – Slow Food. In verschiedenen Abteilungen findet man Frischfleisch, Käse (inklusive Reiferaum), Schinken und Wurst, Frischfisch, Teigwaren, Obst und Gemüse. Pizza und Brot werden in einem grossen Holzofen gebacken. Und ein Glacestand lockt ebenfalls. In insgesamt acht thematisch gegliederten Restaurantbereichen kann der Besucher zwischen A-la-carte-Gerichten und Tagesmenüs wählen. Viel Platz nehmen Information und Aufklärung über Produkte und Produzenten ein, die in erster Linie für Slow-Food-Philosophie stehen. Gut, sauber und fair. Es verwundert wenig, dass der Slow-Food-Pionier Carlo Petrini und der Eataly-Gründer Oscar Farinetti befreundet sind.
Am Ostermontag beim Frühstück wird mir schmerzlich bewusst – ich muss schon wieder nach Hause. Ich trinke mein letztes Bicerin und sage leise zu mir selbst: Turin, du Wunderschöne – mich siehst du wieder.
Alla prossima!
Weitere Inspirationen?
In unserem Blog «Inspiration» finden Sie Trends, Saisonales und Erfolgsgeschichten aus der Branche.