Eingebettet zwischen den Gleisen des Bahnhofs Wallisellen und dem Industriequartier liegt das Restaurant «la esquina». Das Gebäude mit dem überbreiten Dach strahlt den Eindruck aus, Dreh- und Angelpunkt in diesem Quartier zu sein. Ein Ex-Mövenpickler und ein Ex-Lastwagenfahrer bieten hier nicht nur kulinarische Raritäten an.
Mit dem Spitz zur Strasse stehen die viereckigen Tische scheinbar wirr auf der Terrasse. Ungewohnt, normalerweise stehen Tische in Reih und Glied parallel zur Restaurantfront. Diese spezielle Bestuhlung wirkt einladend und bietet jedem Gast eine freie Sicht rund um die Terrasse. Der kreiselförmige Kronleuchter an der Decke strahlt sein warmes Licht gegen die vier Säulen des Daches. Unerwartet öffnen sich die Glastüren zum Restaurant. Eine breite Bar mit unzähligen Spirituosen, eine Vitrine mit etlichen Biersorten und lange ovale Lampen unterstützen die Höhe des Raumes. Ein herzliches «Grüezi» in perfektem Zürideutsch heisst uns willkommen. Der Mann Anfang fünfzig poliert flink ein Rotweinglas nach dem anderen. Diverse Brauntöne beherrschen das Restaurant mit den grossen breiten Fenstern mit Sicht auf Gleise und Strasse. Echte Orchideen in einer hohen Vase brechen die Brauntöne und geben dem Restaurant etwas Naturverbundenes. Der Mann mit dem Abtrocknungstuch unterbricht seine Arbeit und kommt auf uns zu.
Hamburger ist Männersache
Der Frauenanteil im «la esquina» war und ist sehr gross. Manche Männer fühlen sich zwar geborgen, aber vielleicht auch schon mal überfordert. Sven Weber hat es schon früher verstanden, mit dem Angebot und dem Interieur das weibliche Geschlecht anzusprechen. Das ist sein Geheimnis und wird es auch bleiben. Denn die Frau entscheidet indirekt oder direkt, wo es hingehen soll. Das wollte Sven Weber ändern. Seit kurzem sind saftige Hamburger auf der Karte zu finden. Der Männeranteil legt zu, wird aber nie 50 % erreichen.
Der Gastronom, der keiner sein will
Und dann steht er da, der Tausendsassa, der das alles ins Leben gerufen hat: Sven Weber. Es würde Grenzen sprengen, seine gesamte Karriere hier abzudrucken. Seine Wanderjahre fingen bei Mövenpick als KV-Lernender an, führten zum Leidwesen seiner Eltern nicht nach Lausanne an die Hotelfachschule, sondern zum Betriebsleiter verschiedener Bars der Nelson-Pub-Gruppe. «Hier lernte ich einiges mehr über die Gastronomie als in der besten Hotelfachschule der Welt», erklärt der redegewandte Inhaber des Restaurants «la esquina». Doch die Treue zur Gastronomie bröckelte schon bald einmal und Marketingaufgaben in Bekleidungs- oder Import-Export-Firmen forderten den sympathischen, selbstbewussten Mann. Zurück in der Gastronomie floss sein Wissen in viele marode Betriebe ein und verhalf diesen wieder zu Rentabilität. Dies bewog ihn, seine eigene Beraterfirma, Gastroforce, zu gründen. Doch möchte er sich nicht mit Daniel Bumann, dem Restauranttester im TV, vergleichen. «Es gibt viele Menschen, die einfach nicht in die Gastronomie gehören, und Betriebe, die es nicht verdienen, offen zu bleiben. Da bin ich ehrlich und kompromisslos», erklärt Sven Weber bestimmt.
«Das Angebot interessiert mich nicht»
Im November wird das «la esquina» fünf Jahre jung. Das Speise- und Getränkeangebot und die Anzahl Gäste haben sich zusammen entwickelt. Am Anfang waren es die Tapas, die den spanischen «Touch» des Restaurants unterstrichen. Mit der Zeit kamen etliche Renner dazu. So zum Beispiel das panierte Schnitzel in drei Varianten. Um die Küchenbrigade zu entlasten, wurde jeweils am Mittwoch statt der vier Menüs das Schnitzel mit verschiedenen Zutaten angeboten. Alle assen Schnitzel, und jeden Mittwoch wurden es mehr. «Auf der Karte bieten wir unseren Gästen, und dies sind vornehmlich Frauen, ein standardisiertes Angebot an. Neue Gerichte bringen nur Unruhe ins Team. Über dreissig verschiedene Tapas und etliche Flammkuchen sind ein reichhaltiges Angebot. Auf unsere Glacen sind wir besonders stolz. Die kaufen wir im Quartier bei ‹Schokolato›, einem kleinen Glacehersteller. Doch das Angebot interessiert mich nicht, ich will Gäste, die glücklich und zufrieden mein Lokal verlassen», erklärt Sven Weber und fährt weiter: «Es kommt vor, dass der Gast um 20.00 Uhr das erste Mal die Rechnung verlangt und um 23.00 Uhr immer noch bei uns ist. Das ist stimmig. Dabei spielen unsere Mitarbeitenden, der Musikstil, interessante Gäste und natürlich das Angebot eine Rolle. Wir sind ein ‹Gute-Laune-Restaurant›. Und genau deshalb ist das ‹la esquina› der schönste Ort, um den Zug zu verpassen. Der Gast verlässt uns immer mit einer guten Laune», erzählt Sven Weber selbstbewusst.
51 % im Leben ist Glück, der Rest ist Fleiss.
Sven Weber
Mutig sein
Sven Weber macht keinen Hehl daraus: Wenn er Regeln aufstellt, setzt er sich dafür ein, dass sie umgesetzt werden. So zum Beispiel sollte kein Gast das Lokal verlassen, ohne dass er den Namen des Servicemitarbeitenden kennt. Erfolgreich verkaufen heisst hingegen nicht, dass der Mitarbeitende den Gast kennt, das ist unmöglich. Er muss wissen, was er getrunken hat. So empfiehlt er ihm nicht ein zweites Glas Wein, sondern den Primitivo di Manduria, den er gerade noch vor wenigen Minuten genossen hat. «Diese Aufmerksamkeit unterscheidet uns von anderen Betrieben. Das sind wir unserem Gast schuldig», erklärt Sven Weber trocken. Er macht auch keinen Hehl daraus, dass er kein Donald-Trump-Fan ist, den er aus seinem New-York-Aufenthalt kennt. Bei seiner Wahl zum Präsidenten von Amerika nahm er alle amerikanischen Produkte aus dem Sortiment, inklusive Coca-Cola und Tennessee-Whiskey Jack Daniels, und ersetzte diese durch alternative Produkte. Von seiner internationalen Gästeschar erhielt er dafür Applaus.
Über die Gasse
«Klar, das Essen muss dem Gast schmecken und die Getränkeauswahl darf nicht 08/15 sein», korrigiert Sven Weber seine vorherige Aussage. «Unsere Speisekarte ist mittlerweile so ausgewogen, dass es weder Renner noch ‹Penner› gibt. Wir wechseln das Angebot nicht sehr oft – bieten unseren Gästen aber eine breite Palette. Bei den 120 Weinen, die wir prominent im neuen Bereich des Restaurants aufstapeln, kann der Gast jede Flasche auch über die Gasse kaufen. Darauf geben wir zum Restaurationspreis eine Reduktion von 30 Franken. Wir sind aber kein Degustationslokal. Das können andere besser als wir», erklärt Sven Weber.
Der Lastwagenchauffeur
Der Spirit in diesem Restaurant ist enorm. Es wird viel gelacht, und dies nicht nur mit den Gästen, sondern auch in der Küche herrscht ein aufgestelltes Klima. Das war nicht immer so. Die Stimmung in der Küche und im Service war nicht berauschend, bis der Berufssoldat Gerardo di Guida als Casserolier anfing. Er arbeitete als Lastwagenchauffeur bei der italienischen Armee. Die Liebe zu einer Servicemitarbeitenden führte ihn in die Schweiz. Schnell entwickelte sich der Ex-Lastwagenchauffeur zum Koch. Sein Kochtalent war grossartig und erstaunte gar den mit allen Wassern gewaschenen Unternehmerprofi Weber. Letzten Dezember wurde Gerardo di Guida zum Küchenchef befördert; er hat drei gelernte Köche unter sich. «Zu bewundern sind sein Führungsstil und seine Vorbildfunktion in diesem kleinen Team. Die Servicemitarbeitenden sind gerne in der Küche. Dies bereichert das Klima extrem», rühmt Weber sein Mitarbeiter und unterstreicht: «Gute Laune fängt schon in der Küche an.»
Innehalten
Das «la esquina» ist der ruhende Dreh- und Angelpunkt in der hektischen Welt zwischen Gleisen und Arbeitswelt, die immer mehr fordert. «Die vielen Geschäftsleute, die sich nach dem Arbeiten treffen, geniessen zu einem Glas Wein die Tapas häppchenweise. Hier dreht sich die Welt langsamer und keine Termine stressen. Auch das Nachhausekommen ist stressfrei. Es gibt immer eine nächste Zugverbindung, die unsere Gäste in alle Richtungen unfallfrei nach Hause oder zur nächsten Bar bringt. Um elf Uhr abends ist auch für unsere elf Mitarbeitenden Schluss, denn von elf bis elf Uhr an sechs Tagen ist genug. Unsere Mitarbeitenden sind der Garant für die gute Laune, und nur mit geregelten Arbeitszeiten bringen sie täglich ihre Spitzenleistung», hält Sven Weber fest und stellt sich geduldig dem Fotografen, der den erfolgreichen Unternehmer in eine Blitzlichtflut eintaucht.
Photos: bienz-photography.ch