Rau, unberührt und wunderbar. Neuengland an der Ostküste der USA hat weit mehr zu bieten als den über die Landesgrenzen hinaus bekannten Indian Summer.
Bei strömendem Regen landen wir in Philadelphia. Die Landebahn ist zentimetertief mit Wasser bedeckt. Nach dem Flug über den grossen Teich kommt es mir vor, als wären wir nun direkt darin gelandet. Das ist mir aber gerade gar nicht so unrecht. So kann ich getrost das Nachstellen der Lieblings-Filmszene meines Mannes auslassen und muss nicht wie der Boxer «Rocky» Balboa die berühmteste Filmtreppe hinauf zum Philadelphia Museum of Art sprinten. Wir verzichten darum auf einen Zwischenhalt in «Phili» und reisen über New York weiter nach Neuengland. Der Name kommt nicht von ungefähr. New England, das Gebiet im Nordosten der USA, ist der Ursprung der englischen Besiedlung Nordamerikas. Der Abenteurer John Smith bereiste die Gegend 1614 eingehend und beschrieb Neuengland als besonders fisch und holzreich, wodurch englische Siedler auf die Region aufmerksam wurden und im 17. Jahrhundert Neuenglands grösste und bekannteste Stadt, Boston, gründeten, welche sich dann zu einem der wichtigsten Häfen Amerikas entwickelte.
Nebulös
Unser Ziel: Cape Cod (zu Deutsch: Kap Kabeljau), die Halbinsel an Massachusetts' Küste. Der Name lässt es vermuten, der vom Abenteurer John Smith erwähnte Fischreichtum hat auch die Halbinsel im Südosten von Massachusetts grossgemacht. Es war einst ein Zentrum für Hochseefischerei und Walfang. Die in der Schweiz eher unbekannte Halbinsel wird auch «Kap der Kennedys» genannt. Die Familie hat hier offiziell ihren Wohnsitz. Und es gilt als das Sylt Amerikas. Nur ohne Strandkörbe. Viele prominente Familien verbringen hier in ihren schlossartigen Villen den Sommer. Im malerischen Städtchen Dennis haben wir über Airbnb ein kleines Häuschen gemietet. Es ist Hochsommer und der Nebel, der sich über die ans Haus anschliessende moorige Wiese und den Wald breitmacht, lässt vermuten, dass wir es hier nicht mit der grossen Hitze zu tun bekommen. Ich bin ein wenig enttäuscht, doch die einmaligen Landschaftsbilder lassen mich bald vergessen, dass ich mich vor allem auf Bikini und Meer gefreut habe. Die Küste von Cape Cod ist rau, unberührt und malerisch. Sie könnte tatsächlich auch in Grossbritannien zu finden sein. Vielleicht erinnerte es die Pilgerväter, die auf der berühmten «Mayflower» aus England kamen und hier zum erstenmal amerikanischen Boden betraten, auch ein bisschen an zu Hause: kühlblauer Himmel, raue See und breite Strände. Ich verstehe jetzt, warum unsere Vermieterin im Inseratetext auf Airbnb die Region «A slice of heaven» nannte, also «ein Stück vom Himmel». Ohne poetisch zu werden, ich fühle mich hier dem Himmel tatsächlich recht nah.
«FischReich»
20 ausgewachsene Buckelwale tummeln sich um unser kleines Passagierschiff. Sie spielen, schnauben, fressen, und irgendwie kommt es einem so vor, als wäre ihre «Aufführung» nur für uns und sie möchten vor allem eines: gefallen. Ich staune, als die Meeresbiologin beginnt, die Wale mit Namen zu nennen. Sie sehen doch alle gleich aus? Für uns Laien kaum erkennbar, haben sie alle ihre Besonderheiten, sei es auf ihrer Walhaut oder in ihrer Art, wie sie fressen oder kommunizieren. In den warmen Sommermonaten zieht es Wale verschiedenster Arten in die Gründe vor der Küste Neuenglands, wo sie reiche Vorkommen an Heringen, Makrelen, Krill und anderen Fischen finden. Für einen Moment fühlt man sich wie nicht auf dieser Welt, kein Land in Sicht. Nur die fressenden Wale und ich oder, nein, wir. Rundherum die amerikanischen Touristen, die bei jedem Auftauchen «whale, whaaaaaale» kreischen. Sie und sogar die Tatsache, dass hier neben den Walen auch der grösste Jäger der Meere besonders zahlreich zu Hause ist, der Weisse Hai, lassen sich für einen kurzen Moment ausblenden. Hai(l)froh bin ich aber trotzdem, dass es sich bei den auf der Rückfahrt zum Festland auftauchenden Fischflossen «nur» um Delfine handelt. Sie begleiten uns ein Stück zurück nach Provincetown, dem Ausgangsort unserer Waltour. P'twon, wie es auch genannt wird, ist nicht nur bekannt für seine Walsichtung, die Stadt zählt auch zu den liebsten Sommer-Urlaubszielen der amerikanischen Homosexuellen. Es ist bunt und wild und passt so gar nicht ins raue Klima und zur idyllischen Szenerie der restlichen Dörfer von Cape Cod.
Uriges Seafood-Restaurant
Kleines Restaurant direkt am Wasser. Unbedingt zum Sonnenuntergang hingehen, «Lobster Roll» bestellen und Wartezeit einplanen. Alkohol darf selber mitgebracht werden.
Wale sehen
Die Sichtung von verschiedenen Walarten und Delfinen ist vor allem in den Sommermonaten wahrscheinlich.
Ort: Whale Watch Dolphin Fleet, Provincetown
Immer dem Hummer nach
Mit einem Sabberlätzchen aus rutschigem Plastik sitzen wir am Tisch. Es knackt und spritzt. Die Etikette haben wir abgelegt. Was für uns eine Herausforderung darstellt, ist hier eine geläufige Übung. Denn auf Cape Cod wird viel Hummer gefangen und gegessen. Was bei uns als teure Delikatesse gilt, zählt in den Neuengland-Staaten schon fast zu den Grundnahrungsmitteln. Ob die «Lobster Roll», ein Sandwichbrot gefüllt mit saftigem Lobsterfleisch, der «Lobster Chowder» (eine Art Hummersuppe) oder ganz klassisch der «Maine Boiled Lobster» – gekocht im Sud und serviert mit einer Buttersauce: Diese Gerichte sind nicht für Gourmets, sondern für alle. Die Preise sind moderat und die Mengen ordentlich.
Eins ist sicher: Die nördliche Ostküste der USA hat mich nicht zum letzten Mal gesehen. Ich komme wieder. Vielleicht sogar zum berühmten Indian Summer im Oktober, wenn sich die Laubblätter rot, orange und gelb färben, die Temperaturen angenehm sind und der Himmel sich stahlblau und wolkenlos zeigt.
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