Jorge Cardoso ist ein aussergewöhnlicher Chocolatier voller Tatendrang und Leidenschaft. Das hat ihm schon so manche Auszeichnung eingebracht. Im Interview haben wir uns mit ihm über seine Motivation und seinen Lieblingsrohstoff unterhalten – die Schokolade.

Monsieur Cardoso, was unterscheidet ein durchschnittliches von einem exquisiten Dessert?

Gute Frage. Ein durchschnittliches Dessert ist ein sehr simples Allerwelts-Dessert, bei dem man sich nicht gross vorbereitet, mit dem man es sich leicht macht, würde ich sagen. Ein exquisites Dessert ist eines, bei dem man erforscht, welche Aromen gut miteinander harmonieren – ein aufwändigeres Dessert, das entsprechend mit mehr Genuss gegessen werden kann.

Was ist Ihr persönliches Lieblingsdessert?

Mein Lieblingsdessert ist der «Fraisier», eine französische Erdbeertorte. Ein gut gemachter Fraisier ist ein frisches saisonales Dessert. Im Winter bevorzuge ich ein Dessert auf Basis von Pralinés oder Schokolade. Ich komme immer wieder auf die Schokolade zurück.

Was hat denn die Schokolade für Sie an sich, was andere Rohstoffe nicht haben?

Das ist eine lange Geschichte. In Portugal fing ich damals an, mich mit bildender Kunst und künstlerischem Zeichnen zu befassen, und Schokolade war der Rohstoff, der es mir erlaubte, wieder die Brücke zu diesen künstlerischen Elementen meiner Vergangenheit zu schlagen. Sie ist leicht zu verarbeiten, wie Zucker, und man kann wirklich alles daraus machen und sie jeden Tag benutzen.

Nachdem Sie in die Schweiz gekommen waren, absolvierten Sie ja eine Kochlehre. Was hat Sie ausser dem gerade genannten Grund noch dazu bewogen, auf die «süsse Seite» zu wechseln?

Mein Vater war Koch, meine Mutter Konditorin. Meine Mutter liess mich anfangs nicht backen, weil sie meinte, ich hätte kein Händchen dafür. Aber nach und nach durfte ich dann doch kleine Gebäckstücke herstellen. Das hat mir gut gefallen und so habe ich mit dem Backen angefangen. Später habe ich gelernt, mit Schokolade zu arbeiten. Einmal mit ihr in Kontakt gekommen, bekam ich Lust, mit diesem Rohstoff zu arbeiten. Ich liebe es, Werke zu zeichnen und dann plastisch umzusetzen.

Welchen Status hat Schokolade in Ihrem Herkunftsland Portugal verglichen mit der Schweiz?

Einen ganz anderen. In der Schweiz ist Schokolade Teil der Kultur, man isst sie im Sommer wie im Winter. Sogar bei 31 Grad, was mich erstaunt – aber das ist gut für meinen Laden (lacht). In Portugal geht es eher um Glacé und Kaffee. Die Schweiz ist definitiv das Land, in dem am meisten Schokolade gegessen wird.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien in Ihrem Beruf «rastlos» und man müsse kreativ sein und alles dafür tun, um in den Köpfen der Leute zu bleiben. Was treibt Sie an?

Wettbewerbe. Ich wollte immer mehr erreichen. Aber nicht unbedingt, um es anderen zu zeigen, sondern vor allem für mich. Um mir zu beweisen, dass ich Fortschritte mache und um mich stetig weiter zu entwickeln. Denn die absolute Perfektion gibt es nicht, aber man kann sich immer verbessern. Ich möchte konstant an der Spitze sein. Ich bin stets auf der Suche nach Neuem.

Medalhas Jorge Cardoso
Ich möchte konstant an der Spitze sein.

Jorge Cardoso

Inwiefern motivieren Sie Auszeichnungen?

Ich habe alle Medaillen bekommen, die ich mir gewünscht habe. Das war immer ein Traum von mir. Das entschädigt einen; es ist die Frucht der Anstrengung. Ich erkläre es gerne so: Es gibt Leute, die pflanzen Blumen, die rasch verwelken. Ich aber pflanze lieber Bäume. Die brauchen zwar länger, um zu wachsen, aber die Früchte halten länger. So ist meine Arbeit. Meine erste Medaille bekam ich 2017. Man muss den Baum weiter giessen, also weiter arbeiten. Ich werde noch ein Werk für das Schweizer Team an der Weltmeisterschaft in Luxemburg machen. Danach werde ich nur noch aushelfen und nicht mehr an so vielen Wettbewerben teilnehmen. Die Vorbereitung und Entwicklung, die für die Wettbewerbe notwendig sind, haben mir ermöglicht, an der Spitze zu bleiben. Jetzt ist es das Chef-Sein, das mich motiviert, dass ich den Leuten zeigen kann, wozu ich fähig bin.

Vor 2 Jahren fertigten Sie Fussballstar Cristiano Ronaldo aus Schokolade an, dieses Jahr auch noch Roger Federer. Was wollen Sie unbedingt einmal noch in Schokolade verwirklichen?

Vieles! Ich habe unzählige Ideen und Pläne. Man könnte sagen, es raucht regelrecht in meinem Gehirn, und 24 Stunden am Tag sind nicht genug. Ich habe Ronaldo und Federer gemacht, weil ich mich mit ihnen identifiziere; wegen ihres Werdegangs, ihrer Arbeit, die sie dahin gebracht hat, wo sie sind. Auch ich musste hart arbeiten, weil anfangs niemand an mich geglaubt hat. Die Arbeit zahlt sich aus. Wahrscheinlich werde ich zukünftig mit fantastischeren Kreationen beginnen, also mehr für Kinder. Aber mehr kann ich Ihnen noch nicht sagen.

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Raphael Dorigo

Autor

Als Sprachgourmet kreiere ich leidenschaftlich Texte, die mehr sind als Wortsalat.

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