Daniel Lüchinger und seine Frau Judith wirten im Gasthaus Staubern in dritter Generation. Sie und ihre beiden Kinder Denise und David gewähren uns einen spannenden Blick in ihre Küche am Rande des Alpsteins.
Unterwegs im Nussdorf
Diese Reportage führt mich nach Frümsen im Rheintal. Ich gebe zu: Noch nie gehört! Frümsen ist Teil der politischen Gemeinde Sennwald, die mir hingegen sehr wohl etwas sagt. Dort entsteht demnächst das neue Pistor Verteilzentrum Ost. Frümsen ist als Nussdorf und entsprechend für seinen Baumnussweg bekannt. Mein Ziel ist jedoch nicht dieser Weg, sondern die Talstation der Staubernbahn. Es ist halb neun und Julian, mein Kollege vom Aussendienst, wartet bereits auf dem Parkplatz. Er begleitet mich heute zum Berggasthaus Staubern.
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Seit 2018 bringt eine moderne Seilbahn die Gäste vom Rheintal hoch zur Staubern. Es handelt sich dabei um die erste Bergbahn weltweit, die energetisch unabhängig und umweltneutral betrieben wird. In nur acht Minuten überwinden wir 1238 Höhenmeter. Auf 1751 Meter über Meer steigen wir aus und staunen: Was für eine fantastische Rundumsicht: Richtung Süden ins St. Galler Rheintal, Richtung Norden ins appenzellische Alpsteingebirge und im Rücken die markante Stauberenkanzel. Der Grat ist die Grenze: Das Restaurant steht im Kanton Appenzell, die Bahn im Kanton St. Gallen. Julian und ich geniessen den Moment und freuen uns, dass das Wetter mitspielt und uns unsere Arbeit heute in diese wunderschöne Ecke der Schweiz bringt.
Pistor Bestellung ist Familiensache
Eine Handvoll Gäste trinken auf der Terrasse Kaffee. Drinnen bedienen sich die Übernachtungsgäste am gluschtigen Zmorgebuffet. Der Gastgeber Daniel Lüchinger heisst uns willkommen. Er ist hier auf dem Berg aufgewachsen. Seine Grossmutter hat das 1930 erbaute Gasthaus 1935 gekauft. Daniel und seine Frau Judith führen es in dritter Generation, es ist Judiths 40. Saison. Wir setzen uns an einen Tisch am Fenster. Während Daniel und Julian die grosse Halbjahresbestellung durchgehen, gesellt sich Tochter Denise dazu. Die 29-jährige, gelernte Konditorin wirft auch einen Blick darauf. Ihr 27-jähriger Bruder David tut es ihr kurz darauf gleich. Seine dunkelblaue Kochjacke macht klar, welche Rolle er im Familienbetrieb innehat.
Frisch aus dem Ofen
Als alle Artikel notiert sind, verschwinden Daniel und David in die Küche, Denise geht nach draussen, um weitere Bestellungen aufzunehmen, und Judith füllt den Brotkorb mit Gipfeli und Zöpfli auf. «Frisch gebacken», informiert sie mich, «Denise backt die Gipfeli und Zöpfli und Daniel die kleinen St. Gallerli, deren Teig er auch selbst hebelt.» Mmmm, wie das duftet! Denise setzt sich wieder zu uns und erzählt, wie es war, hier auf dem Berg aufzuwachsen: «Während der Schulzeit wohnten wir unten bei der Oma. Sonst waren wir hier und mussten abräumen oder die Bahn bedienen. Heute empfinde ich es als Privileg und arbeite schon seit sechs Jahren im Betrieb mit.» Auch ihr Bruder David setzt sich nochmals zu uns. Ihm sei immer klar gewesen, dass er Koch werden wolle: «Zudem habe ich mich zum Küchenchef ausbilden lassen, und seit dem Lehrabschluss kochen mein Vater und ich zusammen.»
Wir backen alle Brötli jeden Tag frisch.
Judith Lüchinger
Gastgeberin
Bewährtes zwischen «hena und dena»
Sind Rösti und Älplermagronen immer noch die beliebtesten Klassiker? «Ja, der Trend geht Richtung vegetarisch», bilanziert David. Entgegen dem Trend sei aber auch das Rinds-Entrecôte dieses Jahr wieder gefragter. Beliebt seien vor allem regionale Speisen, welche die Lüchingers auf ihrer Speisekarte mit «vo hena», aus dem Rheintal, und «vo dena», aus dem Appenzellerland, deklarieren. «Vo dena» ist zum Beispiel der mit Baumnüssen panierte Ziegenbaumnusskäse von der Rainhütte. Auf dieser Alp, rund 500 Meter unterhalb des Gasthauses, stellt der Bauer aus Ziegenmilch und den von Daniel eingelegten Frümser Baumnüssen diesen leckeren Käse her. Beliebt sei auch das Lammvoressen mit Rösti. Diese Schafe weiden «dena», auf der Staubernalp.
Um bei uns einzukehren, muss man etwas leisten, entweder finanziell oder körperlich.
Denise Lüchinger
Gastgeberin
Der direkte Draht vom Tisch in die Küche
David verschwindet wieder in die Küche. Julian und ich folgen ihm. Von der Grösse der Küche überrascht, schweift mein Blick über die Tablets an den Wänden. «Hier sehe ich den aktuellen Stromverbrauch», klärt mich Daniel auf: «An Tagen mit weniger Gästen nutzen wir die kleinen Öfen und schalten möglichst wenig Herdplatten ein.» Daniel wischt über den Bildschirm und die offenen Essensbestellungen erscheinen. In dem Moment betritt Denise die Küche und liefert gleich die Erklärung dazu: «Vielleicht sind euch die QR-Codes auf den Tischen aufgefallen. Wir nutzen das Bestellsystem ‹Yoordi›, das uns stark entlastet: Der Gast wählt darin seine Speisen und setzt das Kreuzchen, wenn er zum Beispiel die Älplerrösti mit einem Salat statt mit Apfelmus wünscht. Die Bezahlung erfolgt mit Karte oder Twint. Die Essensbestellung erscheint anschliessend hier auf dem Display.»
Das hatte ich nicht erwartet. Heute Morgen hatte ich mich extra mit Bargeld eingedeckt, und jetzt verblüffen mich Lüchingers mit diesem System. Denise ergänzt: «Wenn nicht viel los ist, kommt es weniger zum Einsatz, als wenn der Laden brummt. Dann schaffen wir es zu zweit nicht mehr, alle Bestellungen aufzunehmen, und es braucht uns am Buffet und im Service. Somit ist der persönliche Kontakt trotz etwas Automation noch gegeben. Der Gast muss einfach fürs Bestellen und Bezahlen nicht auf uns warten.» Ich wende mich wieder Daniel zu, der gerade das Gemüse auf drei Tellern anrichtet und erzählt: «Sämtliches Gemüse beziehe ich ‹hena› vom Hof eines alten Schulkollegen. Mit ihm rechne ich einmal im Jahr ab. Dieser Einkauf ist noch immer die Aufgabe meiner Mutter. Das ist ihr auch mit ihren 85 Jahren noch wichtig.»
Steigende Erwartungen, bleibende Wertschätzung
Sind die Ansprüche der Gäste in den letzten Jahren gestiegen? «Ja», antwortet Judith bestimmt, «viele haben weniger Geduld. » Ihre Tochter erkennt hingegen keine dramatische Entwicklung: «Klar ist es nicht mehr wie zu Omas Zeiten, als man noch abgelaufenes Bier servieren konnte, aber wir erhalten viel Wertschätzung. Vielleicht, weil man für den Besuch bei uns etwas leisten muss. Entweder finanziell – eine Hin- und Rückfahrt mit der Bahn kostet immerhin 36 Franken – oder körperlich. » Oft helfe auch eine einfache Erklärung. «Es gibt kein kostenloses Leitungswasser, weil es schlicht keine Leitung gibt. Wir bereiten das Regenwasser auf, was aufwändig ist.» Unverändert ist auch, dass sie bei Sonnenschein für einen Ansturm gewappnet sein müssen. «Das Wetter ist der grösste Mitspieler», so Daniel.
Es ist Mittag. Zeit für Julian und mich, die Klassiker und das Bestellsystem zu testen. Älplerrösti für ihn und Ziegenbaumnusskäse für mich. Das System ist wirklich einfach und beide Gerichte schmecken vorzüglich. Zum Schluss möchte ich von Daniel wissen, ob er und sein Sohn David nie aneinandergeraten: «Nein, weil wir kaum reden. Jeder macht, was er machen muss.» Tochter Denise hat mitgehört und meint: «Doch, doch, es kann auch mal laut werden bei euch.» Worauf ihr Vater verschmitzt entgegnet: «Aber nor, wenn eus dä Service verruckt macht!» So schön es hier oben ist, Julian muss weiter zum nächsten Kunden. Wir brechen auf nach «hena» in Richtung Tal, selbstverständlich nicht ohne ein Stück von Denises exzellenter Nusstorte im Rucksack.
Bilder: Holger Jacob
Berggasthaus Staubern
9467 Frümsen
Berggasthaus: offen von April bis Dezember (Mai bis Oktober bei jedem Wetter offen), 100 Sitzplätze drinnen und 200 draussen
Zimmer: 40 Schlafplätze, vom Himmelbett-Doppelzimmer bis zum Massenschlag
Nusshaus: Lokalität für Apéros und Seminare an der Talstation
Familie:
2. Generation: Oma Gisela Bernegger, mit 85 Jahren kauft sie noch immer ein (Gemüse und Fleisch) und steht an den Wochenenden am Getränkebuffet.
3. Generation: Daniel Lüchinger und seine Frau Judith Lüchinger
4. Generation: David (Koch, Weiterbildung Küchenchef), Denise (Konditorin und Service); Christa (Wäscheservice und Serviceaushilfe), Davids Frau Madeleine (Köchin, Weiterbildung Tourismusfachfrau; Service, Administration und Website); Christas Mann Christian Deiss (technischer Leiter der Bahn), Lüchingers zweitälteste Tochter Karin und ihr Mann Duri führen das Hotel Marina am Walensee.