Mit dem passenden Werkzeug wie Weiterbildung kann Integration bleibende Werte vermitteln. Riesco fördert Flüchtlinge und integriert sie mit grossem Erfolg in die Gastronomie.
Leicht erhöht liegt das Restaurant Muggenbühl oberhalb von Zürich Enge. Mitten in Zürich und doch abseits. Mit der riesigen Gartenterrasse muss es ein Vergnügen sein, im Sommer unter den zahlreichen Bäumen vor der Sonne Schutz zu suchen. Jetzt wirkt der Garten trostlos. Vereinzelt liegen braune Blätter neben den in Reih und Glied ausgerichteten und aufgeklappten Tischen und Stühlen. An der Eingangstüre strahlt uns ein stämmiger Mann in Kochbluse an und heisst uns herzlich willkommen. Der leichte Akzent verrät, dass der sympathische Mann kein Schweizer ist. Sein Name, Scott Armitage, bestätigt diese Vermutung. Er ist vor einiger Zeit nach seinen Wanderjahren in etlichen Küchen aus England in die Schweiz eingewandert.
Der holprige Weg
Zwei weitere Herren in Kochblusen erwarten uns im Nichtraucherrestaurant: Ernst Bachmann und Jamtoktsang Sonam Gyattsen. Sonam ist vor neun Jahren in die Schweiz geflüchtet und baute sich eine Existenz als Koch auf. Er floh mit 25 Jahren aus seinem Heimatland Tibet und erhielt nach einer beschwerlichen Reise in die Schweiz eine vorübergebende Aufenthaltsbewilligung. «Dieses Ziel habe ich nicht ausgewählt, sondern es ergab sich zufällig. Es war mir sofort klar, dass hier niemand auf mich gewartet hat», erzählt Sonam. Ein ungebetener Gast. Der junge Mann wollte nicht rumsitzen, sondern arbeiten. «Meine Deutschkenntnisse waren dürftig, das heisst, ich konnte keiner attraktiven Arbeit nachgehen. Mein Betreuer aus meinem Wohnort schlug mir den einjährigen RIESCO-Lehrgang, eine Weiterbildung in der Gastronomie, vor. Die Voraussetzungen waren klar: Ich musste sehr schnell Deutsch lernen. Heinz Gerig, Gründer und Leiter von RIESCO, nahm nur ausgewählte Flüchtlinge in seinem Kurs auf. Beim Auswahlverfahren muss jeder Flüchtling erklären, warum er den Kurs besuchen will. «Für mich war das einfach. Ich habe zu Hause oft gekocht und wusste, dass dies meine einzige Chance war, eine geregelte Arbeit zu finden», hält Sonam fest und erzählt weiter: «Am ersten Kurstag begrüsste uns Heinz Gerig mit den Worten: ‹Auf euch hat hier niemand gewartet.› Damit gab er uns zu verstehen, dass wir keinen Sonderstatus haben, sondern nach der Ausbildung mit den Schweizern gemessen werden.» Dazu mischt sich Ernst Bachmann ein: «Es nützt nichts, Menschen zu einer Ausbildung zu zwingen. Diejenigen, die den Lehrgang besuchen, müssen auch überzeugt sein, in der Gastronomie arbeiten zu wollen.» Ernst Bachmann ist bekannt aus der Politik und Gastronomie. «Für unser Restaurant sind die Kursabgänger mit wenigen Ausnahmen zu wertvollen Mitarbeitenden geworden. Ich unterstützte die Kurse in all meinen Gremien und bin überzeugt vom System RIESCO», erklärt Ernst Bachmann. «Die Ausbildung beinhaltet die Fachbereiche Kochen, Restauration und Hauswirtschaft. Erst nach der Ausbildung wählt der Kursteilnehmer aus, wo er arbeiten möchte. Dies kann am Buffet oder in der Küche als Mitarbeitender der Werterhaltung sein.»
«Motivation ist das eine, doch die Sprache zu lernen und die Ausbildung in der Gastronomie zu absolvieren, hat mir manche schlaflose Nacht beschert», erzählt Sonam und fährt weiter: «Mein Ziel war, diese Ausbildung abzuschliessen, um auf eigenen Beinen zu stehen.»
Auf euch haben wir nicht gewartet.
Heinz Gerig
Chancen erkennen
Die Kursverantwortlichen von RIESCO bereiten die Teilnehmenden während eines Jahres auf ihre zukünftige Arbeit in der Gastronomie vor. Die Flüchtlinge kommen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sitten und Gepflogenheiten. Nebst der praktischen und theoretischen beruflichen Basisausbildung umfasst der Lehrgang Deutschlektionen sowie Unterrichtsblöcke zu Themen wie Werte und Normen im Schweizer Arbeitsmarkt (Einhalten von Regeln, Pünktlichkeit, Leistungsansprüche), Lerntechnik oder Bewerbungsprozess. Durch die harte, aber faire Auswahl der Kursleiter von RIESCO erhält die Branche Fachkräfte, die sofort einsatzbereit sind. «Die Einarbeitungsphase ist kurz und entspricht etwa derjenigen eines Hilfskochs. Etliche Mitarbeitende konnten wir nach den Kursen in unsere Küchencrew integrieren. Mit wenigen Ausnahmen haben wir sehr motivierte Fachkräfte erhalten, die langjährige Mitarbeitende wurden und nun zur Muggenbühl-Familie gehören», erklärt der Küchenchef Scott Armitage. Die Mitarbeitenden arbeiten gerne unter der Leitung der beiden Chefs im Restaurant Muggenbühl. Einige sind seit über 15 Jahren im Unternehmen.
Packen wir’s an
Nicht alle Abgänger von Riesco finden eine Stelle. Das Vertrauen hat sich in der Gastronomiebranche noch nicht durchgesetzt. Zu Unrecht, findet Ernst Bachmann: «Jeder Kursabgänger absolviert ein Praktikum von einem Monat im zukünftigen Betrieb. Beide Parteien lernen sich kennen und können entscheiden, ob das Arbeitsverhältnis weitergeführt wird. Die Kursleiter von Riesco sind gelernte Fachkräfte und/oder Berufsschullehrer und haben viel Erfahrung in der Erwachsenenbildung. Die Ausbildner kennen ihrer Schützlinge nach einem Jahr, ihre Charaktere und geben gerne Auskunft über ihre Stärken und Schwächen. Diese Auskunft ist aussagekräftiger als manches Zeugnis.» Abschliessend erwähnt Ernst Bachmann noch weitere Kurse, die nebst der Berufslehre eine fundierte Ausbildung für die verschiedenen Bereiche in der Gastronomie bieten. Der Lehrgang «Progresso» unterstützt Mitarbeitende, die in den Bereichen Küche, Restauration oder Hauswirtschaft seit einigen Jahren arbeiten. Mit einem fünfwöchigen Weiterbildungskurs erhalten sie ein Zertifikat. Der Lehrgang «Perfecto Futura» ermöglicht Erwerbslosen den Einstieg in die Gastronomie.
Immer, immer weiterbilden
Der Tibeter Sonam tut alles, um ein bisschen Schweizer zu werden und eine Stütze für die Muggenbühl-Familie zu sein. Nach wenigen Monaten im Restaurant Muggenbühl entschied er sich für die Kochlehre. Nicht gerade einfach, mit zehn Jahre Jüngeren die Schulbank zu drücken und mit einem leichten Sprachdefizit zu kämpfen. «Doch mit der Zeit merkte ich, dass meine Schulkollegen auch nicht immer alles verstanden, was im Pauli, der Kochbibel, geschrieben war», erzählt Sonam mit einem Lächeln, das mit Stolz untermauert ist. Mit Erfolg hat Sonam das eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) geschafft. «Die nächste Herausforderung steht an. Ich werde den Lehrmeisterkurs besuchen, um mein Wissen den Kochlernenden weiterzugeben.» Sein Blick schweift zu seinem Küchenchef und dem Politiker sowie Gastroprofi. «Riesco war die Grundausbildung und hat mir die Freude am Beruf gegeben. Nach der Ausbildung habe ich im Restaurant Muggenbühl die Chance erhalten, das Gelernte umzusetzen und zu erweitern, dafür bin ich sehr dankbar. Es braucht weitere Betriebe und Chefs, die uns eine Chance geben. Hier im Restaurant Muggenbühl habe ich die Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln.»
Progresso-Lehrgang
Die ideale Weiterbildung für Mitarbeitende ohne Grundbildung. Der Lehrgang ist eine fundierte und praxisorientierte Weiterbildung. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein: Der Kursteilnehmer arbeitet in einem der Fachbereiche Küche, Service, Hauswirtschaft oder Systemgastronomie. Die teilnehmende Person versteht Deutsch und kann sich auch in Deutsch verständigen. Die Kosten übernimmt der L-GAV (Landes-Gesamtarbeitsvertrag), sofern der Betrieb und der Kursteilnehmer diesem zwingend unterstellt sind. Lediglich eine Einschreibegebühr muss selbst bezahlt werden. Der Betrieb erhält eine Arbeitsausfallentschädigung. Nach erfolgreichem Abschluss erhalten die Absolventen ein gesamtschweizerisch anerkanntes Branchenzertifikat.
«Perfecto Futura»-Lehrgang
Der «Perfecto Futura»-Kurs bietet Erwerbslosen ohne Berufslehrabschluss in einem Fachgebiet des Gastgewerbes (Küche, Service oder Hauswirtschaft/Buffet) eine praxisorientierte fünfwöchige Weiterbildung. Profis aus dem Gastgewerbe vermitteln im vernetzten praktischen und theoretischen Unterricht Basisfähigkeiten und -fertigkeiten. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein: genügend Deutschkenntnisse und Motivation, sich am Unterricht zu beteiligen. Der Kurs beinhaltet 27 Ausbildungstage und wird mit einem gesamtschweizerisch anerkannten Branchenzertifikat abgeschlossen.
Fotos: bienz-photography