Die traditionelle Panettone-Herstellung dauert rund 44 Stunden und verbindet Fachwissen mit viel Handarbeit. Dazu braucht es «La Madre», die Sauerteigmutter, sowie sich abwechselnde Knet- und Ruhephasen des reichhaltigen Teigs, dessen Volumen sich beim Backen verfünffacht. Und der richtige Dreh, dass die Gebäcke nicht einfallen. Ein Besuch im Tessin, der Schweizer Heimat des Panettone, klärt auf.

Die Panetteria Cecchettin befindet sich an aussichtsreicher Lage mit Blick auf See und Berge am Dorfrand von Orselina, oberhalb von Locarno. Inhaber Yvan Cecchettin hält gerade einen Schwatz mit seinen Gästen auf der Terrasse, als ich bei ihm eintreffe. Ich bin mit der Funicolare (Standseilbahn) Locarno–Madonna del Sasso, welche die Innenstadt von Locarno mit der bekannten Wallfahrtskirche verbindet, hochgefahren.

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Yvan Cecchettin setzt auf traditionelles Handwerk.
Zur Person

Yvan Cecchettin

Der ausgebildete Konditor-Confiseur Yvan Cecchettin ist in Lachen SZ geboren und aufgewachsen. Er hat italienische Wurzeln – sein Vater ist Italiener und seine Mutter stammt aus dem Kanton Schwyz. Im Jahr 1982, er war 18 Jahre alt, zog die Familie ins Tessin und übernahm die Dorfbäckerei in Orselina. Nach der Ausbildung zum Konditor-Confiseur trat er später in die Fussstapfen seines Vaters. Früh lernte er seine zukünftige Frau Renata kennen. Sie heirateten und zogen zwei Söhne und eine Tochter gross, die heute erwachsen sind. In der raren Freizeit erholen sich Yvan und Renata gerne beim Wandern in der Natur.

Traditionelles Handwerk im Ferienkanton

«Hier ist es fast wie in den Ferien», begrüsst mich der aus der Deutschschweiz stammende Konditor-Confiseur lächelnd: «Ich schätze das südländische Flair in meiner Wahlheimat sehr. Die Leute hier sind grundsätzlich entspannter und der Feierabend fühlt sich an wie Ferien», ist der Gastgeber überzeugt und geht voran in seine Backstube. «Wir legen grossen Wert auf traditionelle, mit viel Leidenschaft und von Hand hergestellte Produkte», erklärt er seine Philosophie.

Ein Weihnachtsbrauch aus Italien

«Es gibt viele Geschichten rund um das traditionelle Mailänder Weihnachtsbrot», beginnt Yvan Cecchettin zu erzählen. «Die bekannteste ist wohl die Legende vom Küchenjungen Antonio am Hof des Herzogs Ludovico Sforza in Italien. Der Küchenchef vergass am Weihnachtstag die Süssspeise im Ofen – sie war ungeniessbar, weil so verbrannt. Antonio wollte seinem verzweifelten Chef helfen und bot ihm einen Kuchen an, gebacken aus übriggebliebenen Zutaten wie Mehl, Butter, Zucker, Eiern, kandierten Früchten und Rosinen. Der Küchenchef hatte keine Wahl und servierte den Kuchen. Die Adligen waren begeistert und fragten, was dies für ein Gebäck sei. Der Küchenchef sagte ihnen, es sei das ‹Pane del Toni›, das Brot des (An-) Toni(o). Mit der Zeit änderte sich der Name zu ‹Panettone›», schliesst der Meister seines Fachs gewandt seine Erzählung und leitet nahtlos zu den Herstellungsschritten über.

Tag 1: Vorbereitung «Salame»

«Am Abend des ersten Tages frische ich den ‹Salame› (Sauerteig, aus reinem Weissmehl hergestellt) mit Weissmehl und Wasser auf», erklärt Yvan Cecchettin. «So aktiviere ich die Bakterienkultur, um später eine Teiglockerung und ein mildes Gebäckaroma zu erreichen. Anschliessend ruht der ‹Salame› zwölf Stunden bei rund 20 °C Raumtemperatur.»

Tag 2: «La Madre» reift

Nach diesen zwölf Stunden frische er den «Salame» erneut mit Wasser und Mehl auf und lasse ihn wiederum ruhen. Sein «Salame» sei sicher 40 Jahre alt und in der Deutschschweiz besser unter dem Namen Grundsauer bekannt. Nach vier Stunden wiederholt Yvan Cecchettin das Prozedere erneut. Weitere vier Stunden später ist der Grundsauer («Madre») reif. Einen Teil der «Madre», wie er die gereifte «Sauerteigmutter» liebevoll nennt, packt er nun sorgfältig zurück in ein kräftiges Leinentuch und legt sie in den Kühler, wo sie bis zur nächsten Aktivierung ruht. Der andere Teil kommt in den Panettone-Vorteig.

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Tag 2: Der Vorteig

Es ist später Nachmittag des zweiten Tages. Yvan Cecchettin bereitet den Vorteig für die Panettoni zu. «La Madre» mischt er mit Mehl und Wasser. Während des Knetprozesses fügt er abwechslungsweise Zucker, Eigelb und Butter hinzu. «Die Triebführung des Vorteigs dauert zehn bis zwölf Stunden über Nacht. Dabei wird der Vorteig rund das Dreifache an Volumen zunehmen.»

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Tag 3: Der Hauptteig

Um halb vier Uhr in der Früh des dritten Tages macht sich Bäcker Cecchettin an die Herstellung des reichhaltigen Hauptteigs. Nebst der nochmaligen Beigabe aller Vorteigzutaten fügt er Honig, Salz und nach und nach kandierte Früchte – Orangeat und Zitronat – sowie Sultaninen bei. Die Knetzeit des Hauptteigs beträgt bis zu 40 Minuten.

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Tag 3: Portionieren und gären am Stück

Nach einer kurzen Stockgare portioniert Yvan Cecchettin den Teig in verschiedene Stückgrössen von 100 Gramm bis zu einem Kilogramm. «Das sind unsere Panettone-Standardgrössen. Auf Bestellung fertigen wir auch Panettone mit einer Teigeinlage bis zu fünf Kilogramm», sagt er stolz. Er arbeitet die Teigstücke rund auf und legt sie in die typischen Panettone-Papierformen unterschiedlicher Grösse. Im Gärschrank gären die Panettoni nun an der Wärme.

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Tag 3: Ab in den Ofen

«Nach fünf bis sechs Stunden Gärung sind sie bis auf Höhe des Papierrands gewachsen», weiss Yvan Cecchettin und zeigt auf die gehabenen Panettoni. Gekonnt schneidet er sie übers Kreuz ein und schiebt sie in den Ofen. «Die Backzeit für ein Kilogramm beträgt rund eine Stunde bei tiefen 185 °C. Im Ofen wächst das Panettone-Volumen um das Fünffache.»

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Tag 3: Hängend auskühlen

Cecchettin nimmt die Panettoni aus dem Ofen und schiebt sie direkt in die Panettone-Zange mit beidseitigen Zähnen, so scharf wie Rasierklingen. «Die Vorrichtung nennt sich auf Italienisch ‹Le Pinze›, die Zange», sagt er grinsend. Als der Rahmen richtig sitzt, zieht er die Schrauben links und rechts an. Die Zähne greifen in den Papierformen. Er kehrt die Panettoni mit geübtem Griff um und hängt sie kopfüber in einen Rechen. «Der Auskühlprozess kopfüber hängend ist einer der wichtigsten Arbeitsschritte, damit das Gebäck nicht in sich zusammenfällt. Da der Teig sehr reichhaltig und aufgrund des hohen Butter- und Eigelbgehalts nur bedingt stabil ist», weiss der Meister der Panettoni und verrät: «Eine kräftige Mehlqualität mit guten Kleber-Eigenschaften sowie ein ausgeglichenes Verhältnis von Eigelb, Butter und Zucker sind Teil des Geheimnisses für einen luftigen, perfekten Panettone.»

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Info

Variationen

Der klassische Panettone ist für seinen Kreuzschnitt bekannt und enthält kandierte Früchte sowie Sultaninen. Die Version «Veneziana» wird ohne Sultaninen und «Nostrano» mit Dörrfrüchten und Nüssen hergestellt. Da neben bietet jeder Betrieb seine eigenen Panettone-Varianten, beispielsweise mit Ciliegie (Kirschen), Schokolade, Prosecco, Maronen oder Cappuccino. Sie werden meist mit einer Glasurmasse verziert anstatt eingeschnitten.

Panetteria Cecchettin

Gegründet: 1982 von Yvan Cecchettins Eltern
Mitarbeitende: 12
Inhaber: Renata und Yvan Cecchettin führen den Betrieb in zweiter Generation.
Beliebt: Amaretti al Kirsch: Zwei Amaretti – aussen knusprig und innen zart mit herrlichem Mandelgeschmack –, gefüllt mit Kirschbuttercreme und überzogen mit Schokolade.
Bed & Breakfast: Die Familie Cecchettin vermietet Zimmer, quasi mit hauseigener Bäckerei-Konditorei, wie auch Ferienwohnungen. Der Ausgangspunkt ist ideal für Ausflüge zum Kloster «Madonna del Sasso», nach Locarno, an den Lago Maggiore oder in die Berge.

Zur Website

Bilder: Holger Jacob

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Franziska Dubach

Autorin

Altes Brot ist nicht hart, aber kein Brot, das ist hart. Für ein knusprig-aromatisches Brot gebe ich alles.

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