Zu Besuch im Tourismusort Grindelwald im Berner Oberland, dem Zuhause der Bäckerei Ringgenberg. Ihre Produkte erzählen spannende Geschichten und widerspiegeln die Verbundenheit mit dem Dorf und dem Tal vor Eiger, Mönch und Jungfrau. Inhaber Christian Bigler beliefert zudem die Berghütten rundherum auch mal zu Fuss. 

Wir stehen in der Backstube der Bäckerei, die sich mitten im Dorf Grindelwald befindet. Ich und Christian Bigler, Inhaber der Bäckerei Ringgenberg, blicken Bäckerin-Konditorin Julia bei der Herstellung Challigroosi Chuechen über die Schulter. Sie legt den bereits vorbereiteten Linzerteig in hölzernen Tarte-Ringen aus und verteilt anschliessend darin die frisch hergestellte Füllung aus geraffelten Äpfeln und Beurre-Noisette. Währenddessen wird die Haselnuss-Holländermasse im Anschlagkessel der Rührmaschine verquirlt. Das Timing stimmt und Julia kann danach die Masse aufdressieren und mit dem Teighorn gleichmässig verstreichen. Bevor die Torten in den Ofen gehen, verteilt sie Butterstreusel auf ihnen.

Challigroosi Chuechen?

«Die Legende besagt, dass der Challigroosi ein hünenhafter Mann ist, der im Challi, am Rand des unteren Grindelwaldgletschers unter der Ostflanke des Eigers lebt. Ein guter Berggeist, der Leuten in Not hilft und Übeltätern einen Schrecken einjagt. Aus Dankbarkeit für seine gute Taten backen wir diese wortwörtlich sagenhafte Apfeltorte bei uns. Jedem bei uns gekauften Kuchen legen wir eine Sage von Challigroosi bei», verrät Chrigel, so nennen ihn die Einheimischen, und lächelt verschmitzt. 

Zutaten «vo hiä»

«Der Winter ist unsere Hauptsaison, ein bis zweimal die Woche backen wir Chargen zu je 50 Stück», erzählt Julia fröhlich, während sie die Challigroosi Chuechen in den Ofen schiebt. Und Chrigel ergänzt: «Wir legen Wert darauf, bei der Herstellung Produkte aus Grindelwald und der Region einzusetzen wie Äpfel oder Milch und Butter, die wir von der Eigermilch AG Grindelwald beziehen.» Die Butter scheint es in sich zu haben, denn daraus werden in Biglers Backstube Spitzenprodukte kreiert: «Die hausgemachte Nusstorte aus Grindelwald-Butterteig wie die Apéro-Butterstengeli wurden beide an der Swiss Bakery Trophy mit einer Goldmedaille ausgezeichnet», freut er sich. Ein einheimisches Produkt ist auch das Wetterhornbrot aus Natursauerteig. «Seit ich in Grindelwald lebe und das Wetterhorn tagtäglich erblicke, bin ich fasziniert von diesem imposanten Gipfel», verrät Chrigel, der ursprünglich aus der Agglomeration Bern stammt. So entwickelte er die Idee, dem Wetterhorn ein Brot zu widmen, das genauso einzigartig, wild und ursprünglich ist wie der Berg. 

Ringgenberg besitzer bigler
Zur Person

Christian und Tamara Bigler

Sie sind beide keine Bergler, sondern stammen aus dem Berner Mittelland. Christian ist Bäcker-Konditor mit höherer Fachprüfung und hat in verschiedenen Betrieben Erfahrungen gesammelt. Bereits während seiner Berufslehre bei der Bäckerei-Konditorei Stalder in Muri bei Bern lernte er Tamara kennen, die Detailhandelsangestellte mit Bürofachdiplom. Sie verliebten sich und Tamara brachte die Idee ein, dass es doch schön wäre, gemeinsam einen Betrieb zu führen. Seit 15 Jahren tun sie's erfolgreich mit der Bäckerei Ringgenberg. Mit ihren zwei Buben (12- und 14-jährig) leben sie im Berg- und Tourismusdorf Grindelwald. 

Wie bringt man die Seele eines Berges ins Brot?

Indem man den Gipfel besteigt und oben den Ansatz erstellt. Zusammen mit dem einheimischen Bergführer Friedel bestiegen Chrigel und sein Vater Hans das Wetterhorn. «Der Aufstieg und die Aussicht oben auf dem Gipfel waren überwältigend», schwärmt Chrigel. Auf dem Gipfel angekommen, trug Friedel unter einer Wechte Gipfelschnee ab. «Auf 3692 Meter über Meer, die Bäckerbluse tragend, habe ich den Schnee in der im Rucksack hochgetragenen Pfanne auf dem Gasbrenner geschmolzen. Dann vermengte ich das Wasser vom Berg zusammen mit dem Weizenmehl, das am Fusse des Wetterhorns in einem Grindelwalder ‹Pflanzblätz› gesät und gewachsen war», schildert er seine Aktion, als wäre es gestern gewesen.

 

ringgenberg christian bigler setzt teig an
Das Wetterhornbrot heisst nicht einfach so Wetterhornbrot: Chrigel erstellte den Sauerteigansatz für das Wetterhornbrot auf dessen Gipfel.
ringgenberg wetterhornbrot anschnitt
Der Aufwand hat sich gelohnt! Das Wetterhornbrot ist mit der Maximalpunktzahl prämiert worden.

Tamara Bigler

Inhaberin

Nach rund zwölfmaligem Auffrischen war der Natursauerteig bereit. «Seither backen wir damit täglich frisches Wetterhornbrot mit einer Teigruhezeit von zwanzig Stunden, hergestellt aus Grindelwalder Quellwasser, Schweizer Alpensalz, Weizen und Roggen aus dem Kanton Bern. Das Wetterhornbrot zeichnet sich aus durch die speziell milde Säure, ähnlich einer frischen Gipfelbrise, sowie einen fruchtig-frischen Geschmack», beschreibt der Bäckermeister die Kreation. Seine Frau Tamara, die soeben dazukommt, ergänzt stolz: «Der Aufwand hat sich gelohnt! Das Wetterhornbrot ist an der Swiss Bakery Trophy 2022–2023 mit der Maximalpunktzahl prämiert und unter 1300 geprüften Handwerksprodukten als bestes Bäckereiprodukt ausgezeichnet worden.» 

ringgenberg aussenansicht
Zum Betrieb

Bäckerei-Konditorei-Café Ringgenberg

Geschichte: Eröffnet am 1. Dezember 1924 durch Albrecht und Anni Ringgenberg. Übergabe an Sohn Max und seine Frau Rosa im Jahr 1961. Während 25 Jahren führte Rosa Ringgenberg den Betrieb erfolgreich allein, weil ihr Mann Max 1983 plötzlich verstarb. Im Juni 2008 übernahmen Christian und Tamara Bigler das Steuer und führen die Dorfbäckerei mit Café seither erfolgreich in die Zukunft.
Mitarbeitende: 15
Auszeichnungen: Kantonal-Champion – Biglers werden an der Swiss Bakery Trophy 2022–2023 (SBT) mit zwei Gold- und drei Bronzemedaillen für ihre Produkte zur besten Bäckerei des Kantons gekürt. Eine Goldmedaille gab es an der SBT auch für das Wetterhornbrot. 

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Brot auf Wanderschaft

Die Kunden in der Bäckerei Ringgenberg sind so vielfältig wie die des Tourismusorts: «Von Schweizer über ausländische Touristen aus aller Welt wie China, Indien, Arabien, Japan, Korea usw., aber auch aus den europäischen Nachbarstaaten bis hin zur Dorfbevölkerung gehen alle im Laden und Café ein und aus», zählt Tamara auf. Dazu kommen zahlreiche Lieferungen, mit denen etwas mehr als ein Drittel des Umsatzes erwirtschaftet werden. Einerseits beliefern Biglers «Eigerness Der Laden » beim EIGER+-Areal im Dorf mit ihren handgefertigten Produkten. Andererseits nutzen Hotels, Jugendherbergen, Berghütten usw. ihr Angebot. «Die Sterne-Hotellerie schätzt unser kleines Wetterhornbrot für Gourmetmenüs. Die Story zum Brot trägt zu einem genialen Gästeerlebnis bei», freut sich Chrigel. Ist einmal die Bestellung vergessen gegangen oder kommt unerwartet Mehrbedarf auf, ist sich der Bäckersmann auch nicht zu schade, zu Fuss in eine Hütte zu steigen, um Brot zu liefern. «Im Berghotel Faulhorn vergassen sie einmal die Brotbest llung. Verzweifelt riefen mich die Gastgeber an. Es war ein schöner Tag und so packte ich mittags meinen alten Militärrucksack mit zehn Kilo Brot und nahm das Faulhorn von der Bussalp her zu Fuss in Angriff. Solche ‹Notlieferungen› werden enorm geschätzt. Gleichzeitig verbrachte ich einen schönen Nachmittag in der Natur», wertschätzt Chrigel die Extratour. 

Speziell unspektakulär

Ein weiterer Berg, der Chrigel fasziniert, ist der legendäre Eiger. Deshalb erstaunt es nicht weiter, dass er auch Nordwandpralinen anbietet. Sie bestehen aus 38-prozentiger Grand-Cru-Schokolade, und ihr Inneres überrascht mit flüssigem Caramel und Fleur de Sel. Nebst den Pralinen bietet Chrigel ein spezielles Hausbrot an, dessen Teig traditionell mit Vorteig und über drei Tage geführt wird. «Auf dem Gipfel des Eigers war ich leider noch nicht», bedauert er. «Das Spezielle an unserem Hausbrot ist, dass es eigentlich nicht speziell ist», sagt er grinsend: «Der Aufriss des Hausbrots symbolisiert die gigantische Eigernordwand. Das Mehl oben auf dem Brot stellt den Firnschnee des Gipfels dar. Wir backen immer drei Brote zusammen. Mit etwas Fantasie kann man das berühmte Dreigestirn – Eiger, Mönch und Jungfrau – sehen», schwärmt der nur so von Ideen sprudelnde Fachmann.

So erzählen der Challigroosi Chuechen und die weiteren Spezialitäten der Ringgenberg-Bäckerei nicht nur die Geschichte eines Gletscherriesen und eines Natursauerteigs vom Berggipfel, sondern auch diejenige von einem Bäckerpaar, das vom Unterland ins Bergdorf kam und durch eine Sage und dank ihres Handwerkskönnens den Weg in die Herzen der Einheimischen fand. 

Bilder: Jonas Weibel / Fritz Brawand

ringgenberg hausbrot
Das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau à la Bäckerei Ringgenberg.
Wissen

Die Sage des Challigroosi

Ein geschickter Grindelwalder Zimmermann war auf einer Alp mit dem Bau einer neuen Hütte beschäftigt. Seine Frau Christine besorgte daheim Kinder und Haushalt. Eines Abends spät brachte ein Bote die Nachricht, dass ihrem Mann ein schweres Unglück zugestossen sei und er Frau und Kinder noch einmal sehen möchte. Christine machte sich im Morgengrauen mit dem vierjährigen Vreneli an der Hand und dem Baby auf dem Arm auf den mühsamen Weg. Dichter Nebel kam auf. Christine verlor den Pfad, geriet in unwegsames Gelände und hatte nur noch steile, rutschige Hänge und Felsen vor sich. Verzweifelt setzte sie sich, zog die Kinder an sich und überlegte, was sie tun sollte. Schliesslich rief sie um Hilfe in der Hoffnung, dass jemand sie höre. Plötzlich hörte sie schwere Schritte näherkommen. Eine riesenhafte Gestalt mit langem Bart und knorrigem Stock tauchte auf. Er übergab Christine den Stock, nahm die Kinder auf den Arm, wies sie an, ihr zu folgen und schritt sicher bergab. Der Nebel lichtete sich und die Hütte kam zu  Vorschein. In der Nähe setzte der Bärtige die Kinder ab und war ohne ein Wort vom Nebel verschluckt. In der Hütte fanden sie den Vater, schwer von einem gefallenen Balken getroffen, noch lebend. Seine Familie gab ihm neuen Mut und er genas. (Sage aus dem Buch «Challigroosi und Muggestutz» von Rudolf Rubi, 1981)

Autorin Franziska Dubach WF19441

Franziska Dubach

Autorin

Als gelernte Bäcker-Konditorin ist für mich Backen bis heute eine grosse Leidenschaft.

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