Der Frühling ist da, und damit die Kraft des Keimens und des Spriessens der Natur und der Wildkräuter. Wildkräuter sind im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten – doch sie bieten viel mehr als nur Aroma. Romana und Julia Zumbühl vom Brunnmatthof klären auf.
Romana Zumbühl, seit Ihrer Kindheit tragen Sie die Passion für den Garten und für alles, was wächst und gedeiht, in sich. Warum?
Ich verbrachte viel Zeit in unserem grossen Gemüse- und Blumengarten. Die Mutter Erde bietet uns eine vielfältige Pflanzenapotheke, die für unser Wohlbefinden sorgt. Pflanzen schenken uns viel mehr als nur ihre heilkräftige Chemie. Seit es uns Menschen gibt, sind Pflanzen unsere treuen Begleiter. Sie bieten uns an, in Gemeinschaft mit ihnen zu leben. Sie sind Nahrung und Heilmittel zugleich. All dies fasziniert mich.
Man muss keinen Hausgarten haben – Wildkräuter gibt’s vor der Haustüre. Worauf ist beim Sammeln zu achten?
Sammeln Sie nur Pflanzen, die Sie kennen – es gibt gute Bestimmungsbücher und Pflanzen-Apps, um sich zu informieren –, und entlang von Ökowiesen, an Waldrändern, Biofeldrändern, Heckensäumen oder Wildpärken. Meiden Sie Hundestrassen und Feldränder, bei denen intensiv Ackerbau betrieben wird. Und: Egal, wo Sie sammeln, fragen Sie die Grundstückbesitzer.
Romana und Julia Zumbühl
Romana Zumbühl ist die Gewinnerin der «Landfrauenküche 2013», zugleich Heilpflanzenfachfrau, Biobäuerin, Dozentin und Mutter von fünf erwachsenen Kindern. Kochen mit selbst gesuchten Wildkräutern und selbst angebautem Gemüse ist ihre Leidenschaft. Kein Wunder, dass ihre Kinder diese teilen. Tochter Julia Zumbühl gibt ihr Wissen als Köchin und Expertin in der Wildkräuterküche weiter. Das alles auf dem Brunnmatthof – Heilpflanzenschule, Seminarhaus und Kräuterstube in einem.
Einmal gefunden, raten Sie, den Gaumen vorsichtig mit den Kräutern vertraut zu machen. Wie?
Sobald der Frühling die ersten Frühlingsboten wie Gundermann, Taubnessel, Vogelmiere, Schafgarbe, Scharbockskraut, Spitzwegerich, Brennnesseln, um nur einige zu nennen, an den Tag bringt, beginnen Sie Wildkräuter in Ihre Salat- und Gemüsebeilagen zu mischen. Erst wenig, dann immer mehr. Bekömmlich sind Wildkräutersuppen, bei denen man je nach Pflanzenmischung verschiedene Geschmacksrichtungen hervorzaubert. Wussten Sie, dass die Knospen des Spitzwegerichs wie frische Morcheln schmecken? Ideal sind die Wildpflanzen auch in Risottos, Kartoffelgerichten und Quiches.
Sie setzen also mehr auf Wildpflanzen als auf Kulturgemüse in Risotto, Kartoffelgericht und Quiche?
Nein. Kulturgemüse ist zwar im Laufe der Zeit ärmer an Vitaminen, Spurenelementen, Mineralien und Bitterstoffen geworden. Warum? Wie überall dominieren in der Landwirtschaft Effizienz und Rationalität. Der Detailhandel fordert zunehmend Standardisierung (äussere Erscheinung, Grösse) – leider auf Kosten von innerer Qualität und Wertigkeit. Wildkräuter enthalten zum Teil das Hundertfache an Vitaminen und Mineralstoffen als Kulturgemüse und sind deshalb eine sinnvolle Ergänzung, um unsere Nahrung mit Nährstoffen aus der Natur anzureichern.
Julia Zumbühl, zu Ihnen. Sie sind Köchin und Wildkräuterexpertin. Nebst Kräutern kennen Sie sich in der Welt der Gewürze aus. Was fasziniert Sie an Kraut und Gewürz?
Mit dem Würzen und Abschmecken der Gerichte verschafft man den Speisen Charakter und Bekömmlichkeit. Nicht nur das; jedes Kräutlein und Gewürz bewirkt etwas oder beeinflusst den Stoffwechsel. Ein Beispiel sind die Samen der Doldenblütler (Fenchel, Anis und Kümmel), die karminativ wirken. Das heisst, sie unterstützen, dass es nicht zu Gärung, Fäulnis und üblen Winden kommt.
Sie kennen sich in der TCM*- 5-Elemente-Ernährung aus. Welchen Stellenwert haben Kräuter und Gewürze in dieser Ernährungsphilosophie?
Werden die Lebensmittel entsprechend den fünf Elementen, ihren Geschmacksrichtungen sauer, bitter, süss, scharf, salzig und ihren thermischen Effekten (heiss, wärmend, neutral, erfrischend, kalt) ausgewählt, wirken sie nach Auffassung der TCM gezielt auf einzelne Körperorgane. Die Ernährung wird in der chinesischen Medizin auch therapeutisch eingesetzt, wobei die Grenzen zwischen Arznei- und Nahrungsmitteln fliessend sind. Zum Beispiel: Einige der Frühlingspflanzen wirken feurig, bitter erfrischend, metallisch oder scharferfrischend. Sie wirken somit vitalisierend, entgiftend und immunsystemstärkend.
Bieten Sie auf dem Brunnmatthof auch Kurse speziell für Gastroprofis an?
Im Bereich Wildpflanzen und altes Wissen können sich auch Gastroprofis Inputs holen. Eine Wildkräuterwanderung, ein Wildkräuterkochkurs auf dem Brunnmatthof oder Kurse im eigenen Betrieb sind so oder so ein besonderes Erlebnis.
* TCM = Traditionelle chinesische Medizin
Bilder: heilpflanzenschule.ch
Wildkräuter-Powertrank
Wilde, grüne Powershots bieten ein breites Spektrum an hochwertigem pflanzlichem Eiweiss, sekundären Pflanzenstoffen, Vitaminen, Mineralstoffkombinationen und Enzymen.
Einige geeignete Wildkräuter
- Löwenzahn
- Brennnessel
- Giersch
- Spitzwegerich
- Scharbockskraut
- Gänseblümchen
- Winterkresse
- Schafgarbe
Empfehlung pro Tag: höchstens 2 dl oder nur einen kleinen «Shot» von ca. 50 ml
Rezept
- 1 Stk. Boskoop Apfel oder Birne (andere Früchte)
- 100 g gemischte Wildkräuter
- Wasser
- 1 EL Leinöl
- Süssen mit Honig oder anderen alternativen Süssungsmitteln, nach Bedarf
Zubereitung
Früchte klein schneiden und Wildkräuter grob zusammenhacken, in einen Mixer geben und wenig Wasser hinzufügen. Alles kurz mixen und evtl. Wasser hinzufügen bis die gewünschte Konsistenz entsteht. Sofort geniessen.
Andere Flüssigkeiten, die hinzugefügt werden können
- Reismilch
- Sojamilch
- Mandelmilch
- Kokosmilch
Gewürze
- Ingwer
Grüne Neune Suppe
für 4 Personen
- Es werden neun verschiedene Wildkräuter gepflückt (auch mit sieben möglich). Am besten eignen sich Giersch, Löwenzahn, Gänseblümchen, Gundermann, Spitzwegerich, Bärlauch, Brennnessel, Schafgarbe und Scharbockskraut.
- Die Blätter waschen und grob schneiden, anschliessend im Rapsöl und nach Wunsch mit Zwiebeln leicht andünsten und mit ca. 1 Liter Bouillon ablöschen. Danach kurz aufkochen und mit dem Stabmixer pürieren.
- Nach Belieben ein wenig Vollrahm dazu geben. Die Suppe kann mit etwas Mehl gebunden werden.
Wichtig
Die Suppe nicht zu lange kochen. Die Wildkräuter haben zarte Blätter und sind daher sehr schnell weichgekocht – die Vitaminen bleiben besser enthalten.
Übrigens
Diese Suppe ist wohl eines der ältesten Gerichte, die man im Frühling zubereitet, um den Winter aus dem Körper zu vertreiben und den Menschen Gesundheit und Kraft für das neue Jahr zu bringen. Später wurde daraus die «Gründonnerstags-Suppe». Heute wissen wir, wie heilkräftig diese ersten wilden Kräuter sind. Es gibt aber nicht nur «das eine» Rezept, sondern ganz viele, weil in jeder Gegend andere Kräuter wachsen. Am besten nutzt man das Pflanzenangebot rund um seinen Wohnort.
Brennnesselbrot
- 1 Tasse gekochte Brennnesselblätter
- ½ Hefewürfel
- 1 dl Weisswein
- 2 dl Wasser
- 500 g Dinkelweissmehl (auch anderes Mehl möglich)
- Pfeffer und Muskat
- wenig Curry
- 1 TL Salz
- 50 g Sbrinz gerieben
- Handvoll Brennnesselsamen
Die Brennnesseln in kochendem Wasser blanchieren, abschöpfen und austropfen, mit Wein und Wasser mixen. Hefe, Mehl, Gewürze, Salz und Sbrinz, Brennnesselsamen in eine Teigschüssel geben. Brennnesselmix darunter kneten; der Teig ist relativ feucht. Ca. 15 Minuten kneten, 1 Stunde gehen lassen.
Brot formen und bei 190 Grad ca. 45 Minuten backen oder Brötchen formen und ca. 20 Minuten backen.
Wildkräuter-Quiche
für 12 Personen, Vorspeise 3 Rundblech; 19 cm Durchmesser
- 250 g Dinkelmehl
- 50 g Rahmquark
- 100 g Butter
- 50 ml Wasser
- 1 TL Salz
- 50 g Speckwürfel
Belag
- 400g Wildkräuter
- 3–4 Eier
- 400 ml Vollrahm
- 3 EL Sbrinz gerieben
- Etwas Salz, Pfeffer, Muskat
Mürbeteig
Mehl und Salz in einer Schüssel mischen, Butterstücke zugeben und mit dem Mehl krümelig reiben. Quark und Wasser zugeben, rasch zu einem Teig zusammenfügen. 30 Minuten kaltstellen, danach den Teig auf wenig Mehl ausrollen und in eine gefettete Form legen.
Belag
Die Wildkräuter 2 Minuten blanchieren, abschöpfen, gut abtropfen lassen und eventuell zerkleinern.
Speckwürfel anbraten und auf den Teigboden verteilen. Die Eier mit dem Rahm verquirlen und Käse unterrühren und mit Salz, Pfeffer, Muskat abschmecken. Wildkräuter auf den Teigboden verteilen und den Guss darüber giessen.
Im Backofen bei 180 Grad ca. 45 Minuten backen, evtl. zum Schluss 5 Minuten Unterhitze.
Wildkräuter
- Bärlauch
- Brennnessel
- Vogelmiere
- Giersch
- Taubnesseltriebspitzen
- Gundelrebe
- Schafgarbe
- Gänseblümchen
- Spitzwegerich
- kleine Löwenzahnblätter
- Winterkresse
Giersch Rüebli
für 4 Personen
- 400 g Rüebli
- 1 Stk. Zwiebel
- wenig Bouillon
- Handvoll Giersch
Zwiebel im Rapsöl andünsten, Rüebli und Bouillon beigeben und weich garen. Am Schluss die ganzen Giersch-Blätter darunter geben und abschmecken.
Wildkräutersalz
Bei den verwendbaren Wildkräutern sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt und es können alle essbaren Kräuter verwendet werden, die die Natur gerade bietet. Die meisten von ihnen besitzen ein viel intensiveres, urtümlicheres Aroma als kultivierte Küchenkräuter.
Einige Beispiele
- Bärlauch
- Brennnessel
- Gänsefingerkraut
- Gundermann
- Hirtentäschel
- Löwenzahn
- Sauerampfer
- Schafgarbe
- Scharbockskraut
- Taubnessel
- Vogelmiere
- Spitz- und Breitwegerich
Am besten Wildkräuter frisch am Vormittag sammeln. Wildkräuter waschen und trocken winden. Wichtig ist, dass man die Wildkräuter nie über 30 Grad trocknet.
Backofen
Die Wildkräuter auf einem Backpapier und Backblech im Ofen bei Umluft 30 Grad trocknen; einen Holzlöffel zwischen die Tür stecken, sodass der Ofen ein Stück offen bleibt. Die Kräuter benötigen so rund 5 Stunden zum Trocknen. Die Kräuter sind trocken sobald sie beim Verreiben zerbrechen.
Dörrgerät
Heutzutage gibt es tolle Dörrgeräte mit Temperatur-Regler. Es gilt jedoch dasselbe, nur bei max. 30 Grad die Kräuter trocknen lassen.
Mischung
Verwendung von z. B. Steinsalz (Himalaya-Salz). Das Verhältnis der Mischung Salz/Wildkräuter kann selbst bestimmt werden. Empfehlung: 40% Salz und 60% Wildkräuter. Wildkräuter mit den Händen verreiben und sieben, bis keine harten Stiele mehr drin sind oder Kräuter in einen Cutter geben. Mit Salz mischen und geniessen.