Die Königin der Glarner Spezialitäten, als «Paschtetä» bekannt, ist ein Ganzjahres-, aber kein Alltagsprodukt. Und sie ist auch nicht die einzige Spezialität des Kantons. Aber lassen wir sie doch selbst erzählen …
Gestatten, dass ich mich vorstelle? Ich habe eine runde, blumige Form. Bin etwa fünf Zentimeter hoch und weise einen Durchmesser zwischen zwanzig und dreissig Zentimetern auf. Gefüllt werde ich je zur Hälfte mit Mandel- und Zwetschgenfüllung. Ich bin aus Blätterteig und unter dem Namen «Glarner Pastete» bekannt. Die Einheimischen nennen mich stolz «Paschtetä», denn für sie bin ich die wahre Königin der Glarner Spezialitäten. Wie ich in den Kanton Glarus gekommen bin, weiss ich nicht mehr so genau. Es wird von Werkspionage berichtet. Jedenfalls habe mich hier gut eingelebt. Denn feiern die Glarner ein Fest, bin ich seit dieser Zeit ein gern gesehener Gast.
Die meiste Arbeit, um die Glarner ‹Paschtetä› herzustellen, verrichten wir von Hand.
Hans Jenny
Inhaber Cornetto AG
So werde ich hergestellt
Die Glarner «Pastetenbeggen» stellen mich seit vielen Jahren traditionell her. Besonders hier, in der Backstube der über 150-jährigen Bäckerei Cornetto AG (ehemals H. Jenny Bäckerei-Conditorei), bei Inhaber Hans Jenny und seinem Team, fühle ich mich wohl.
Er ist stolz auf mich und erzählt gerne von mir: «Die meiste Arbeit, um die Glarner ‹Paschtetä› herzustellen, verrichten wir von Hand. Wir rollen unseren hausgemachten Blätterteig maschinell aus und stechen ihn mit einer blumenförmigen Schablone aus. Den Rand des Bodens belegen wir mit dickeren Teigteilen. So erreichen wir, dass die Randteile beim Backen aufgehen und unsere Spezialitätenkönigin ihre typische Form erhält», sagt Hans Jenny. «Bevor wir den Deckel aufsetzen, füllen wir den Boden je hälftig mit den beiden hausgemachten Massen aus Mandeln und Zwetschgen. Den Teigdeckel verziert Bäckerin Michelle Marti kreisförmig mit Messerschnitten. Nach dem Backen bestreuen wir unsere Königin grosszügig mit Puderzucker und setzen den ‹Fridolin›, unser Wappen, auf», erklärt er.
Ein Ebenbild aus Brot
So entstehe ich also. Und ich bin ein Ganzjahres-, aber kein Alltagsprodukt und auch nicht die einzige Spezialität des Kantons: Das älteste eingetragene Markenprodukt der Schweiz ist nämlich ebenfalls in Glarus beheimatet: der Schabziger. Unser Tal ist nur nach Norden zur Linthebene hin geöffnet und deshalb auch als «Zigerschlitz» bekannt. Vom flachen Talboden auf 414 Meter Höhe steigt das Gelände bis auf 3614 Meter über Meer, zum Gipfel des Tödi. In den tieferen, milden Lagen gedeiht der kostbare Schabzigerklee und die saftigen Kräuter der Glarner Alpen nähren die Kühe. Aus ihrer Milch wird nicht nur der gereifte Schabziger und Butter, sondern auch Frischziger hergestellt, den die Cornetto AG in der Brotproduktion einsetzt. In der Glarner Alpenkruste wiederspiegelt sich meiner Meinung nach die gegensätzliche Landschaft: Die Kruste dieses Brotes beschreibt die rauen, vergletscherten Berggipfel und das milde Föhnklima findet sich in der feuchten Krume wieder.
Was lange währt …
Aber lassen wir Bäckermeister Jenny doch selbst berichten: «Der Teig für die Glarner Alpenkruste ähnelt einem Ruchbrotteig und reift während 24 Stunden in der sanften Kälte unseres Kühlraums. Diese Methode sorgt dafür, dass das Brot mehr Aroma entwickelt und länger frisch bleibt. Die Krume wird durch den Ziger zusätzlich befeuchtet. Übrigens ist Ziger eine natürliche Milchproteinquelle – 17 Prozent Milchproteine enthält dieses Spezialbrot. Fehlt nur noch die Alpenkruste: Michelle Marti bestreicht die Brote vor dem Backprozess mit einem flüssigen Wasser-Mehl-Hefegemisch und staubt mit Mehl.»
Von Prinzen und Prinzessinnen
Vor lauter Spezialitäten habe euch noch gar nicht von meiner königlichen Familie, meinen vier Kindern, erzählt. Meine Älteste, Prinzessin «Glärnisch-Turtä»: in Mürbeteig eingebettete Zwetschgenstückli und knackige Mandeln in zartschmelzendem Caramel. Zur Symbiose mit der Bündner Nusstorte ist es gekommen, weil Bäcker Hans Jenny während einiger Saisons im Engadin gearbeitet hat. Mein einziger Sohn, Prinz «Glarner Stängel», ist ganz aus meinem Fleisch (Blätterteig) und Blut (Zwetschgen- und Mandelmasse). Den Sommer verbringt er am liebsten in den Glarner Alphütten. Übrigens, in der Cornetto-Produktion ist der Lernende Luca Schwitter gerade mit dem Ausrollen und Stupfen des Blätterteiges beschäftigt, während die Lernende Seraina Kundert, die Zwetschgen- und Mandelfüllung aufspritzt, die Stängel rollt und schneidet.
Was aus dem «Öpfel-Beggäli» wurde
Die beiden Geschwister haben Zwillingsschwestern, meine Kleinsten: «Beggäli Zwetschge» und «Beggäli Mandel». Zwar nicht eineiige Zwillinge, aber ganz nach Mama Pastete. Weil die zwei scheu sind, verstecken sich oft in «Glarner Tüechli», beliebten Mitbringseln. Alteinheimische Glarner kosen meine Kleinen gerne mit «Öpfel-Beggäli Zwetschge» oder «Öpfel-Beggäli Mandel». Diese Bezeichnung stammt aus der Anfangszeit der Glarner «Pastetenbeggen», als die Mandeln ein teures Luxusgut waren. Deshalb stellte man uns vordem aus Apfelmus und Rosinen her.
Glarner Tüechli
Die farbigen Baumwolltücher sind quadratisch und bekannt für ihre Dessins, die traditionell orientalischen Ornamenten nachempfunden sind. Ein beliebtes und bis heute modisches Accessoire, dessen Muster auch auf Touristensouvenirs wie Servietten, Porzellan etc. aufgedruckt werden.
Leader aus Schoggi
Meine königliche Kinderschar spielt oft mit den «Schoggi-Chuächä» der Nachbarschaft. Sie sind absolute Leader: Auf die Woche gerechnet treffen meine Königskinder bis zu hundert «Schoggi-Chuächä». Konditor Hans Jacober füllt soeben die Schoggi-Masse auf die Teigböden. «Unser ‹cremig und füächtes› Meisterstück ist ein beliebtes Geschenk – wie eine süsse Blume, die schmeckt wie ein Praliné», philosophiert Hans Jenny grinsend. Nun bin ich am Ende meiner königlichen Geschichte angelangt, die eindrücklich aufzeigt, dass das Glarnerland und die Cornetto AG eine Reise wert sind.
Zum Betrieb
Die Bäckerei-Konditorei-Café, ist an vier Standorten präsent: In den Filialen Ennenda, Glarus und Schwanden werden die Gäste mit Backwaren aus Ennenda sowie Tagesmenüs, Wochenhits, Salaten mit hausgemachter «Salatsoosä» und Snacks aus der Küche in Glarus verwöhnt. Die jüngste Filiale, der Dorfladen Cornettino in Ennenda, wartet mit frischen Marktwaren und «Ässä fürä ganzä Tag» auf.
Fotos: Jonas Weibel